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Sturmkönige 01 - Dschinnland

Sturmkönige 01 - Dschinnland

Titel: Sturmkönige 01 - Dschinnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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»Aber nicht an ihrem Tod, oder?«
    Nein, sagte sein Blick, aber über seine Lippen kam kein Laut.
    »Willst du mir davon erzählen?«, fragte sie. »Davon, was damals wirklich geschehen ist?«
    Er zog seine Hand mit einem Ruck aus ihrer, rieb sich durchs Gesicht, massierte seine Augen, sah sie dann wieder an. Sie schien zu verschwimmen, eins zu werden mit der Nacht und dem Rauch dort draußen.
    Ein Gespenst.
    Ihr Gespenst.
    »Ich habe sie nicht sterben sehen«, sagte er leise.

 
Der Narbennarr
 
 
    Maryam hatte die Gestalt auf den Dünen als Erste entdeckt. Tarik wirbelte herum, stieß dabei mit dem Krummschwert den Wassereimer in den Brunnenschacht und zog sie schützend hinter sich.
    »Wer ist das?«, fragte sie leise.
    Sandwehen wanderten die Dünenhänge hinab auf die Oase zu, aber sie schienen achtungsvollen Abstand zu dem Mann zu halten, der jetzt die Palmen erreichte und zwischen den Stämmen auf Tarik und Maryam zukam.
    »Kein Dschinn«, flüsterte sie. »Nur ein Mensch.«
    Tarik war davon nicht so überzeugt wie sie. Tatsächlich war er nicht einmal sicher, dass es sich wirklich um einen Mann handelte – bislang ließ sich das nur an seinem weißen Beduinengewand erkennen. Kleidung, wie sie eigentlich in den arabischen Wüsten getragen wurde, nicht von den Nomaden der Karakum.
    Das Gewand war weit geschnitten und reichte bis zum Boden. Vorn war es mit einer breiten Schärpe aus dem gleichen weißen Stoff geschlossen. Waffen oder einen Schwertgurt schien der Fremde nicht zu tragen; allerhöchstens mochte er in den Falten seiner Kleidung einen Dolch verbergen. Sein Kopf war mit einem Tuch verhüllt, das nur einen Spalt für die Augen frei ließ. Dass unter dieser Vermummung ein Mann steckte, ließ sich auf diese Entfernung allein an seiner Größe erkennen. Wichtig war, dass er auf zwei Beinen ging – und nicht schwebte wie ein Dschinn. Seine Schritte hinterließen Spuren im Sand.
    Tarik hob das Schwert. Maryam trat aus seinem Schatten; es war nie ihre Art gewesen, sich hinter ihm zu verstecken. Außer ihren Alpträumen, jenen Visionen einer nimmer endenden Gefangenschaft in einem Kerker namens Samarkand, gab es wenig, das ihr Angst einjagte.
    Gewiss kein einzelner Mann in der Wüste.
    Tariks Sorge aber wuchs. »Zurück auf den Teppich.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Er ist kein Dschinn, oder?« Tarik entdeckte ein erwartungsvolles Funkeln in ihren Augen, das seine Befürchtung bestätigte. »Vielleicht«, flüsterte sie, »ist er einer von den Rebellen.«
    Die Freiheitskämpfer gegen die Dschinnherrschaft. Vielleicht keine Legende – auch wenn dies der Emir gern verbreiten ließ –, aber ganz sicher auch keine schlagkräftige Armee, die sich einige von Maryams aufrührerischen Freunden herbeiphantasierten. Jamal hatte nie von ihnen gesprochen, und auch Tarik war keinem begegnet. Gewiss, das Dschinnland war unermesslich groß und erstreckte sich weit über die Grenzen Khorasans hinaus. Selbst wenn es ein ganzes Heer dieser Rebellen gegeben hätte, waren die Chancen, dass ein Schmuggler ihnen auf dem Weg von Samarkand nach Bagdad begegnete, denkbar gering. Erst recht wenn es sich bei ihnen nur um eine Schar Flüchtlinge handeln sollte, die von einem Unterschlupf zum nächsten zogen und vielleicht dann und wann einen Achtungssieg gegen eine Dschinnpatrouille erzielten.
    Der Mann war jetzt keine fünfzig Schritt mehr entfernt. Er wanderte durch die Schatten der Palmenstämme, durch ein Raster aus Licht und Dunkelheit.
    »Wir verschwinden«, entschied Tarik und wollte sie zurück auf den Teppich drängen, der nur wenige Schritt neben ihnen lag und schon halb von wehenden Sandwirbeln begraben war.
    Aber er hätte wissen müssen, dass er damit nur Maryams Widerwillen herausforderte. Wie so mancher der jungen Verschwörer gegen die Herrschaft des Emirs war auch sie geradezu besessen von dem Gedanken an die Rebellion gegen die Dschinne. Die Geschichten über den geheimen Krieg, der angeblich im Wüstenmeer der Karakum tobte, hatten für Maryams starrsinnige Freunde vor allem symbolischen Wert: Es machte ihnen Mut, dass dort draußen in den Weiten des Dschinnlands eine Gruppe unbeugsamer Widerstandskämpfer gegen eine Macht antrat, die nicht zu besiegen war. Wie klein und unbedeutend war dagegen ihr eigener Aufstand gegen den Emir und seine Ahdath – so es denn jemals dazu kommen sollte. Tarik hatte aus Liebe zu Maryam an einigen ihrer Treffen in Hinterzimmern des Qastal-Viertels teilgenommen, und nichts, das

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