Sturmkönige 01 - Dschinnland
dort gesagt worden war, hatte ihn auch nur einen Augenblick auf einen Erfolg ihrer Umsturzpläne hoffen lassen. Während Maryam mit leuchtenden Augen an den Lippen großtönender Redner gehangen hatte, hatte Tarik kaum mehr als gelindes Interesse für ihre ehrenwerten, aber vollkommen aussichtslosen Pläne aufbringen können.
Vielleicht war das der wichtigste Grund gewesen, weshalb er sich schließlich bereiterklärt hatte, sie aus Samarkand fortzubringen: Er wollte nicht, dass sie mit dem Rest dieser Narren bei dem gescheiterten Versuch starb, Kahramans Herrschaft über die Stadt zu brechen. Lieber gab er ihrem Drängen nach, Samarkand für immer zu verlassen, als mit anzusehen, wie sie in den Kerkern des Palastes endete, in den Wahnsinn getrieben von einer Gefangenschaft, die sie in ihren Träumen seit fahren vorausgesehen hatte.
Deshalb waren sie heute hier. In dieser Oase mitten im Nichts, wo niemand sein sollte außer ihnen, schon gar kein Fremder in wehenden weißen Gewändern.
Noch zwanzig Schritt.
Tarik bemühte sich, die Augen des Mannes zu erkennen. Der schmale Streifen Gesichtshaut zwischen den Tüchern um seinen Kopf sah aus wie bemalt. Nicht unähnlich den Hennasymbolen auf Maryams Handrücken.
»Halt!« Tarik hob warnend einen Arm. »Bleib stehen!«
Maryams Finger streiften seine Faust um den Schwertgriff. Er unterdrückte abermals den Wunsch, sie gegen ihren Willen hinter sich zu schieben oder, besser noch, auf den vermaledeiten Teppich, damit sie endlich von hier verschwinden konnten. Sie hatten erst einen einzigen Wasserschlauch gefüllt, und der würde kaum ausreichen bis zur nächsten Oase. Zudem hatte er gerade erst den einzig vorhandenen Schöpfeimer hinab in den Brunnen geworfen. Wenn sie jetzt überstürzt aufbrachen, liefen sie Gefahr, in der Gluthitze der Karakum zu verdursten.
Fünfzehn Schritt zwischen ihnen und dem Fremden.
Er kam näher, ohne Tariks Aufforderung Beachtung zu schenken. Weiß gebleichte Gewänder schleiften über den Sand, die Farbe alter Gerippe.
»Bleib stehen, und nenne uns deinen Namen«, verlangte Tarik erneut. Wäre Maryam nicht an seiner Seite gewesen, er hätte den Mann längst angegriffen. Während der vergangenen Jahre hatte er hier draußen nicht nur Dschinne getötet. Aber er scheute sich davor, sie in einen Kampf zu verwickeln, noch dazu mit jemandem, dessen Kraft er nicht abschätzen konnte. Zugleich wusste er, dass sie verloren war, wenn ihm selbst etwas zustieß. Sie allein konnte den Teppich nicht fliegen, ihr Wissen um die nötigen Beschwörungen reichte nicht aus, um ins Muster zu greifen.
Die zügigen Schritte des Mannes verrieten, dass ihn die Wüstenhitze keineswegs geschwächt hatte. Falls er sich auf einsamer Wanderschaft durch die Karakum befand, so hatte er doch augenscheinlich nicht mit Hunger und Durst zu kämpfen gehabt.
Endlich erkannte Tarik, was an dem Fremden nicht stimmte.
Er trug keine Wasserschläuche. Nichts, um Vorräte zu transportieren.
Und dafür gab es nur eine einzige Erklärung: Er war nicht allein. Hinter den Dünen warteten andere wie er, warteten womöglich nur auf sein Zeichen.
Tarik gab Maryam einen Stoß, der sie mit einem wütenden Aufschrei in die Richtung des Teppichs beförderte. Ohne weitere Zeit zu verschwenden, holte er mit dem Schwert aus und stürzte vorwärts.
Der Fremde blieb stehen. Hakte seelenruhig eine Fingerspitze in das Tuch vor seinem Gesicht und zog es hinab unters Kinn.
Maryam entfuhr ein gepresstes Keuchen.
Tarik erstarrte.
Die Muster, die er von weitem in dem schmalen Sehschlitz erkannt hatte, waren nicht aufgemalt. Es waren Narben. Das Gesicht des Mannes sah aus wie ein Flickenteppich, dutzendfach zusammengenäht, als hätte ihn etwas vor langer Zeit in Stücke gerissen.
In Stücke von unterschiedlicher Hautfarbe.
Seine Mundwinkel wanderten nach oben, fanden eine Verlängerung in rosigen Narbenwülsten, die sein sichelscharfes Lächeln bis zu den Augenwinkeln hinaufzogen. Tarik hatte noch nie eine Mimik gesehen, die dieser gleich kam. Das groteske, absurd verzerrte Grinsen einer Narrenmaske.
»Mein Name ist Amaryllis.«
Tarik hatte in seinem Ansturm innegehalten, erstarrt beim Anblick dieses Gesichts, das aus den Zügen anderer Menschen zusammengesetzt war. Hellhäutigen, schwarzhäutigen, gelbhäutigen Menschen. Rechts das blaue Auge einer Frau mit langen Wimpern. Links das braune eines Mannes ohne Lid, von einem schwefeligen Schleier überzogen, eingetrocknet wie durchgebratenes
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