Sturmkönige 01 - Dschinnland
zu sein, sondern allein die rasende Furcht, dass sie ihn für immer verlieren könnte.
Sie verstand nicht, was geschehen war. Und das machte ihr Angst. Mit beidem konnte sie nicht umgehen. Furcht war ein Gefühl, das sich durch jeden Tag ihres Lebens gezogen hatte – aber gewöhnt hatte sie sich nie daran. Und ein Gefühl nicht zu verstehen, es wie von außen mit anzusehen, als beträfe es jemand anderen, nur nicht sie selbst, war ihr noch fremder als der Hoffnungsschimmer, den sie beim Aufbruch aus Samarkand verspürt hatte. Hoffnung, dass alles doch noch gut ausgehen könnte. Diese Reise. Ihre Mission.
Und nun wurde ihre Hoffnung dort draußen von Dschinnen umringt.
Während die Kreaturen sich auf Tarik konzentrierten, schob Sabatea sich wie eine Schlafwandlerin vorwärts, als hätte ein anderer die Kontrolle über ihre Bewegungen übernommen. Sie fürchtete sich vor jeder Regung, die ihre Anwesenheit verraten könnte. Sie fürchtete die Fratzen der Dschinne, ihre Krallen, ihre scheußlich geflammten Körpermuster. Doch am meisten hatte sie Angst davor, dass sie Tarik töten könnten, unmittelbar vor ihren Augen. Sie wollte nicht die Schuld an seinem Ende tragen, so wenig wie sie gewollt hatte, dass er sich für sie opferte.
Dass sie ihn geküsst hatte, war kein Missgeschick gewesen. Und es hatte so viel mehr zu bedeuten als ihre gemeinsame Nacht am Himmel über Samarkand. Das war nur ihr Körper gewesen, der tat, was nötig war, um einen Wildfremden zu überzeugen, ihr zu helfen. Und genauso hatte Tarik es eingeschätzt, als missglückten Bestechungsversuch, als voreilig gezahlten Preis für eine Ware, die er gar nicht feilzubieten hatte.
Aber die vergangenen Tage, die letzten Stunden im Gebirge, auch sein Bericht über Maryams Verlust – das alles war etwas anderes. Dafür konnte sie nicht mit ihrem Körper bezahlen, nur mit ihrer Zuneigung. Mit ihren wahren Gefühlen, die so verwirrend, erschreckend und neu für sie waren, dass sie Tariks Hilfe und Rat gleich in zweierlei Hinsicht brauchte. Und mehr noch als das, brauchte sie ihn selbst.
Fiebrig vor Entsetzen, beobachtete sie, wie er sich an der Kante des Abgrunds entlangbewegte. Die beiden Dschinne, die ihm am nächsten waren, attackierten ihn mit einem erbeuteten Schwert und einer Stachelkeule. Tarik musste gehofft haben, dass die Nähe des Abgrunds – und damit die Erkenntnis, in welcher Höhe sie sich befanden – sie verunsichern würde. Sein Plan ging auf. Obgleich sie ihn angriffen, taten sie es nicht mit ganzer Kraft, so als scheuten sie sich, der Felskante zu nahe zu kommen.
Der Ring aus Fackeln wurde zu einem Dreiviertelkreis, dessen Enden an die Felskante stießen. Erst als ihr Anführer aus dem Dunkel heranraste und zornige Befehle schrie, überwanden einige der Krieger ihre Scheu, positionierten sich in Tariks Rücken über dem Abgrund und schlossen den Ring um ihr Opfer.
Während Sabateas Körper einfach tat, was getan werden musste – vorwärtskriechen, den Teppich ausbreiten, dabei die Rücken der Dschinne nicht aus den Augen lassen –, dämmerte ihrem Verstand, dass es ihr längst um etwas anderes ging als nur um das, weswegen sie aufgebrochen war. Auch darum. Aber nicht nur.
Der Kreis der Dschinne schloss sich immer enger um Tarik, während Sabatea im vorderen, etwas geräumigeren Teil der Felsnische den Teppich zurechtzog. Sie kniete sich darauf, schloss ganz kurz die Augen, versuchte sich auf die Beschwörung zu konzentrieren und schob die Hand ins Muster. Ihre Finger glitten durch die Fasern, stießen in jenen Bereich des Teppichs vor, der gar nicht hätte existieren dürfen, unterhalb der Oberfläche und doch nicht darunter, anderswo und doch ganz nahe. Ihre Fingerspitzen berührten das erwachende Gewimmel der Musterstränge, tippten gegen einige, umfassten andere. Zogen Schlaufen und schufen Verknüpfungen.
Der Teppich versteifte sich unter ihr. Hob sich einige Fingerbreit vom Boden. Glättete sich vollständig, bis er wie ein Brett auf der Luft lag. Die Dschinne auf ihrer Seite des Kreises wandten ihr noch immer den Rücken zu.
Tarik warf ihr einen raschen, verstohlenen Blick zu. Dann packte er sein Schwert an Griff und Spitze und hielt die Waffe waagerecht und mit ausgestreckten Armen vor sich. Die Geste war so unmissverständlich, dass selbst die Dschinne sie verstehen mussten. Irgendwo in der Dunkelheit wimmerte ein Dschinn – gewiss derjenige, dem Tarik beide Hände abgeschlagen hatte –, ein anderer brüllte etwas.
Weitere Kostenlose Bücher