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Sturmkönige 01 - Dschinnland

Sturmkönige 01 - Dschinnland

Titel: Sturmkönige 01 - Dschinnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sich, die andere blieb starr. Ein Wangenknochen mahlte, der zweite bewegte sich nicht. Nur seine vernarbten Mundwinkel gehorchten, wanderten wie von Haken gezogen aufwärts, formten jenes scheußliche, nichtmenschliche Sichelgrinsen, das Tarik in so vielen Träumen gesehen und tausendmal mit bloßen Händen von Amaryllis’ Schädel gepellt hatte.
    »Du bist älter geworden«, sagte der Dschinnfürst, der so gar nicht wie einer aussah. »Ich erinnere mich an dich. Damals warst du fast noch ein Menschenjunges. Du warst bei ihr, bei -«
    »Maryam«, flüsterte Tarik. Nur dieses Wort.
    »Ich habe ihren Namen nie erfahren.« Der Narbennarr streckte eine Hand aus, eine vernarbte Klaue aus fremden Fingern, die noch knochiger geworden war. Er berührte Tarik am Kinn. »Maryam… Maryam…« Als ließe er die Silben auf der Zunge schmelzen.
    Tariks Arme erwachten aus ihrer Starre, wollten die Umklammerung der Dschinne sprengen. Der Versuch scheiterte kläglich. Die Krieger hielten ihn so fest, als wären ihre Finger auf seinem Fleisch aus Stahl.
    Das Grinsen des Narbennarren erreichte seine Augenwinkel. In der leeren Höhle bewegte sich etwas, zuckende Nervenbündel wie Wurmenden. Im Kontrast dazu strahlte das Frauenauge mit glühender Intensität. Es fiel schwer, hinter diesen widersprüchlichen Teilen ein Ganzes zu sehen.
    »Du wirst mir von ihr erzählen, nicht wahr?«, sagte Amaryllis, während Daumen und Zeigefinger Tariks Kinn hielten. »Alles über sie.«
    Tarik regte sich nicht mehr. Versuchte, seine Gedanken anderswohin zu lenken, um nicht zu einem rasenden, närrischen Bündel aus Zorn und Beschimpfungen zu werden. Gegen die Kraft der beiden Dschinnwächter hatte er unbewaffnet keine Chance.
    Ganz leise flüsterte Amaryllis: »Hast du mich verstanden?«
    Tarik hielt dem bohrenden Blick seines Auges stand, indem er sich auf die leere Höhle konzentrierte. Zugleich formte sich weit hinten in seinem Verstand die Frage, weshalb der Dschinnfürst nicht einfach ein neues Auge eingesetzt hatte, wenn er doch die Macht besaß, Menschenteile zu etwas Lebendem zu vernähen. Und dann dämmerte es ihm: Amaryllis hatte sich selbst verstümmelt. Hatte sich das Auge eigenhändig aus dem Schädel gerissen, weil es… ja, was nur? Nicht gehorchte? Erblindet war?
    »Es sieht zu viel«, raunte der Narbennarr, dem Tariks Blick auf die Wunde nicht entgangen war. »Noch immer.«
    Seht, wie ich sehe, hatte er damals in der Wüste gesagt.
    Aber was hatte er gesehen?
    Seht, wie ich sehe, und versteht, was ich tun muss.
    Aber Tarik war nicht hier, um zu verstehen. Die Gründe des Narbennarren interessierten ihn nicht genug, um dafür auch nur sekundenlang seinen Hass aufzugeben – und den Gedanken, ihn zu töten.
    Amaryllis beugte sich vor und näherte seinen Mund fast zärtlich Tariks Ohr. »Ich habe die Welt ohne Dschinne gesehen. Eine Welt der Menschen, ohne Magie.«
    »Dann ist das die Welt, die wieder sein wird«, entgegnete Tarik mühsam beherrscht. »Eine Welt ohne euch. So, wie sie einst gewesen ist.« Es spielte keine Rolle, dass er selbst nicht daran glaubte. Falls es dies war, was der Narbennarr fürchtete, dann wollte er es ihm nur zu gern bestätigen.
    Amaryllis trat einen Schritt zurück, legte den narbigen Schädel schräg, als überlegte er, und nickte langsam. »Darum bin ich hier«, sagte er schließlich und mit bedeutungsschwerem Ernst. »Um das zu verhindern. Um das, was mein eines Auge sieht, niemals wahr werden zu lassen.«
    Tarik verstand noch immer nicht völlig, was Amaryllis da redete. Sein verstümmeltes Auge sah eine Welt der Menschen, eine Welt ohne Dschinne und ohne Magie. Nur Illusion? Oder war das die Vergangenheit? Die Zukunft? Eine Zukunft? Das mussten die Befürchtungen sein, die auch den Narbennarren Umtrieben.
    Ich sehe eine Welt ohne mich, hatte er in der Wüste gesagt. Versteht, was ich tun muss. War das der Schlüssel zu dem, was Amaryllis war und was ihn bewegte? Er trug seine Motive wie Geschmeide zur Schau, und doch blieben sie rätselhaft.
    Eine Welt ohne Dschinne. Konnte das der Grund sein für ihren Vernichtungsfeldzug gegen die Menschheit? Die Vision eines einzelnen ihrer Fürsten – der Wahn eines Dschinns, der kein Dschinn mehr sein wollte?
    »Hast du deshalb versucht, dir den Körper eines Menschen zu erschaffen?«, fragte Tarik mit belegter Stimme. »Um dem Ende deines Volkes zu entgehen?«
    Einer der beiden Krieger wandte ihm das Gesicht zu und zischte zornig zwischen seinen

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