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Sturmkönige 01 - Dschinnland

Sturmkönige 01 - Dschinnland

Titel: Sturmkönige 01 - Dschinnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gesichter. Gefühle. Hass.
    So viel Hass.
    »Wo ist sie?«, fragte der Narbennarr erneut.
    »Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht hier.« Dann wäre alles anders gewesen. Die vergangenen sechs Jahre. All die Abende und Nächte. Die selbstmörderischen Jagden auf dem fliegenden Teppich. Er hätte ein normales Leben führen können, so wie andere, trotz der Bedrohung durch die Dschinne.
    So wie dein Vater, stichelte seine innere Stimme. Niemals da für seine Frau und Kinder. Hätte auch Tarik Maryam allein gelassen? Sich andere gesucht, wenn sie wütend oder enttäuscht auf ihn gewesen wäre, so wie seine Mutter es oft gewesen war? Wäre dann ein zweiter Jamal aus ihm geworden, hochangesehen als bester Schmuggler auf den Dschinnrouten, aber zu Hause ein Versager, der sich blind stellte für das Unglück seiner Frau?
    Es gab darauf keine Antwort. Er wusste nicht, was die Zukunft gebracht hätte. Ob Maryam in Bagdad das Glück gefunden hätte, das sie in Samarkand vergeblich gesucht hatte. Und, falls nicht, ob er ein Leben lang gegen ihre Alpträume und Dämonen hätte kämpfen wollen, oder ob er es irgendwann einfach leid gewesen wäre. Er wusste es nicht.
    »Sie ist… noch am Leben?«, stöhnte er mühsam.
    Der Narbennarr kam näher. Tarik musste sich zwingen, nicht die gähnende Augenhöhle anzustarren. Aber der Blick des gesunden, bestechend schönen Frauenauges war noch unerträglicher.
    »Du weißt, dass sie lebt«, sagte Amaryllis. »Sie hat dich hergeschickt.«
    »Hergeschickt?« Tariks Stimme überschlug sich.
    »Als ich sagte, dass Schmerz nur der Anfang ist, habe ich damit nicht ein paar Schnitte und Schläge gemeint.«
    Tarik spürte plötzlich einen Luftzug, der ihn an seiner Kette herumschwingen ließ. Die Klaue des Narbennarren schoss vor, packte sein Haar und zog ihn zurück. Zugleich näherte sich ein langer Fingernagel einem klaffenden Schnitt auf seiner Brust; er spürte, wie die Spitze in sein Fleisch eindrang und sachte den Knochen seines Brustbeins berührte.
    »Wo?«
    Tarik presste die Lippen aufeinander.
    Das Auge des Dschinnfürsten verengte sich. »Du glaubst, dass du sie liebst, nicht wahr?« Was konnte eine Kreatur wie Amaryllis über Liebe wissen? Gehörte zur Unmenschlichkeit immer auch das Wissen um die wunden Punkte der Menschlichkeit? »Ist es das? Liebe?«
    »Fahr zur Hölle!«
    »Was ist mit der anderen Menschenfrau? Liebst du sie auch?«
    Sabatea? Was wusste Amaryllis über sie?
    »Wie wichtig ist sie für dich? Was bedeutet sie dir?«, bohrte der Narbennarr weiter.
    Tarik hatte sich dasselbe mehr als einmal gefragt.
    »Den Schmerz, den ich dir erspare, werde ich ihr zufügen«, sagte Amaryllis. Spott blitzte in seinem einen Auge. »Soll sie den Preis für dein Schweigen zahlen?«
    Er lügt, dachte Tarik verzweifelt. Sie hatten sie nicht gefangen. Sie war noch immer dort draußen, auf seinem Teppich, dem Teppich seines Vaters, und sie würde es auch ohne ihn und Junis bis nach Bagdad schaffen. Sie war stark, und sie hatte Mut. Als Erstes würde sie wahrscheinlich die Sanduhr vom Teppich werfen.
    Mit einem Mal musste er lachen. Laut und schallend lachen.
    Amaryllis wich ein kleines Stück zurück. Er musterte Tarik durchdringend und schüttelte einmal mehr den Kopf.
    »Sieh«, sagte er leise.
    Tarik lachte noch immer.
    »Sieh her.« Nur ein Flüstern.
    Tariks Lachen wurde zu einem Husten, krampfartig und röchelnd. Wie durch einen Schleier sah er, worauf der Narbennarr zeigte. Worauf er breitbeinig stand.
    Der Teppich gehorchte dem Dschinnfürsten, ohne dass er seine Klaue ins Muster schieben musste. Der Teppich, den Tarik für Sabatea zurückgelassen hatte. Auf dem sie längst hätte fort sein sollen, weit weg von hier.
    Der Narbennarr zeigte sein Sichelgrinsen. »Wo ist Maryam?«

 
Im Pferch
 
 
    Erst hatte sie geglaubt, die Feuer am Boden des Höhlendoms wären winzig, nicht größer als die Flammen an den Fackeln ihrer Bewacher.
    Dann aber trugen die Dschinne sie tiefer und tiefer hinab, und sie erkannte lodernde Scheiterhaufen, größer als die heiligen Feuer in den Nächten der Zarathustrafeste. Der Rauch verwehte auf dem Weg nach oben, womöglich gab es Abzugschächte, die ins Freie führten. Bald aber konnte sie ihn riechen, ein beißender Gestank, der gleichermaßen an verschmortes Haar und brennende Kiefernzapfen erinnerte.
    Den Dschinnen machte die aufsteigende Hitze nichts aus, doch Sabatea schrie schmerzerfüllt auf, als die Krieger sie durch eine Säule aus heißer

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