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Sturmkönige 03 - Glutsand

Sturmkönige 03 - Glutsand

Titel: Sturmkönige 03 - Glutsand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Skarabapur
     
     
    Tiefer ins südliche Dschinnland.
    Weiter in die entvölkerte Leere des persischen Reiches. Dies war immer ein Land der Hitze und Einsamkeit gewesen, eine Einöde von Horizont zu Horizont. Vereinzelt ragten die Ruinen vergessener Bauwerke aus dem Nichts, turmdicke Säulenstümpfe und verfallene Portale, die aus der Wüste in die Wüste führten. Die meiste Zeit über jedoch sahen die sechs Teppichreiter nichts als ockerfarbene Weite, Sanddünen, Felsplateaus, dann und wann die steinernen Wellen ausgedörrter Hügellandschaften.
    Gelegentlich passierten sie die Überreste von Dörfern, allesamt verlassen. Sand und Wind hatten die papierne Haut von Schädelreihen auf windschiefen Pflöcken und Spießen geschleift; die Dschinne hatten sie rund um die meisten Siedlungen errichtet. Es gab keine Leichenmonumente wie in Buchara, aber aus der Luft war zu erkennen, dass die Anordnung der aufgespießten Köpfe verschachtelten Mustern folgte. Ziegen, Hunde und Rinder waren ebenso enthauptet und unter die menschlichen Trophäen gemischt worden wie Kamele und Pferde, ohne dass sich irgendwer um die Unterschiede geschert hätte. Jetzt blickten sie alle gemeinsam aus leeren Augenhöhlen hinaus in das trostlose Wüstenland, während der Wind in langen Haarsträhnen spielte, Käfer in Kiefern nisteten und der Sand rund um die Pfähle von Jahr zu Jahr höher stieg und irgendwann alle Spuren begraben würde.
    Aber mit den Dschinnen hatte es nicht begonnen.
    Sie waren nur eine Folge dessen, was vor sechzig, siebzig Jahren geschehen war, vielleicht schon früher. Wann genau die Wilde Magie außer Kontrolle geraten und wie ein Sturm aus falschen Illusionen und echtem Tod über die Welt gefegt war, wusste niemand mehr zu sagen. Die Ersten, die es bemerkt hatten, waren die Magier gewesen, und auch sie erst viel zu spät. Vor zweiundfünfzig Jahren waren die Dschinne aus den Wüsten gekommen, die Kinder der Wilden Magie, mit ihrem Ziel, die Menschheit auszulöschen. Als Ajouz und Nasmat, die mächtigsten Zauberkundigen ihres Zeitalters, kurz darauf die Spaltung heraufbeschworen und die Welt verdoppelt hatten, war die Magie nur noch durch ihre vollkommene Austreibung aufzuhalten gewesen. Ajouz und Nasmat, zauberkundige Liebende, hatten eine Spiegelung der Welt erschaffen, eine exakte Kopie mit allen Ländern und Lebewesen, mit allen Geräuschen und Gerüchen. Diese zweite Welt hatten sie in einer Flasche gebannt, und mit ihr jede Form von Magie. Die Flasche war am Grund des tiefsten Ozeans versenkt worden, und dort ruhte sie noch heute.
    Dieses Persien, die Wirklichkeit von Tarik und Sabatea, war die Welt in der Flasche, das Gefängnis der Wilden Magie. Irgendwo dort draußen musste noch das Original existieren, von allem Zauber bereinigt, unerreichbar für alle, die im Inneren der Flasche eingesperrt waren. Dass ausgerechnet Tarik, der sich jahrelang für nichts als sich selbst interessiert hatte, nun das Auge des Narbennarren trug, entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Bei Dunkelheit vermochte er damit in die andere Welt zu blicken, in das entzauberte Reich außerhalb der Flasche. Bei Tageslicht aber drohte ihn die Helligkeit zu töten, wenn er es wagte, das verfluchte Auge zu öffnen.
    Seine Fähigkeit, eine andere Welt als diese zu sehen, hatte den Narbennarren Amaryllis, einen der Dschinnfürsten, zum Propheten seines Volkes gemacht. Amaryllis hatte geglaubt, dass die Bilder, die er sah, die Zukunft zeigten – eine Welt ohne Dschinne, ein Menschenreich. Um das zu verhindern, hatte er die Dschinne in den Krieg gegen die Menschheit geführt, beseelt von der Überzeugung, ein Auserwählter zu sein, dessen Bestimmung es war, jeden Mann, jede Frau und jedes Kind von der Erde zu fegen.
    Als Tarik die sterbenden Überreste des Narbennarren in die Feuer der Hängenden Städte geschleudert hatte, hatte Amaryllis die Gabe des Sehens an ihn weitergegeben, den Fluch seines furchtbaren Auges. Und erst allmählich war Tarik bewusst geworden, dass da noch etwas in ihm war – ein Teil von Amaryllis selbst, ein Splitter seines Geistes, tief unten in seinem eigenen verankert. Manchmal hörte er die Stimme des Narbennarren, sein irrsinniges Gelächter, spürte ein Zerren und Ziehen und den Versuch, Einfluss auf sein Denken, auf seine Entscheidungen zu nehmen. Er hatte Sabatea davon erzählt, und auch Khalis kannte die Wahrheit.
    Als Tarik dem Narbennarren in den Hängenden Städten begegnet war, hatte der sich das linke Auge längst

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