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Sturmkönige 03 - Glutsand

Sturmkönige 03 - Glutsand

Titel: Sturmkönige 03 - Glutsand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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den Spalt hinaus aus der Ruine und hinüber zum Splittergraben und den Überresten des Kuppelbaus. Um das hohe, kantige Konstrukt in seiner Mitte hatte sich ein Schwarm gerüsteter Dschinne zusammengezogen.
    Lärm wurde laut. Der Wind trug Heulen und Seufzen heran. Zugleich erklang ein hohes, helles Bersten und Brechen, als suchte sich etwas mit Gewalt einen Weg durch den gläsernen Irrgarten Skarabapurs und zertrümmerte dabei achtlos ganze Straßenzüge. Noch war es weit entfernt, aber die Geräusche kamen näher.
    Ihr fiel nur einer außer Nachtgesicht ein, der auf einem Sturm ins Herz dieser Stadt reiten konnte und zugleich mächtig genug war, es mit mehreren Hundertschaften der Dschinne aufzunehmen.
    Nachtgesicht zuckte zusammen, als hätte man ihm unvermittelt einen Stich versetzt.
    »Ist er das?« flüsterte sie.
    Er nickte benommen.
    Ifranji hatte schwankend den höchsten Punkt der Scherbenrampe erreicht und balancierte tollkühn auf den Zehenspitzen, um einen Blick über die Wand hinweg nach Westen zu werfen.
    »Oh«, machte sie leise.
    Ihr Bruder sah durch sie hindurch, als wäre sie selbst mit einem Mal zu Glas geworden. Seine Lippen formten stumm einen Namen.
    »Das solltet ihr euch ansehen«, sagte Ifranji.

 
Der Plan des Narren
     
     
    Tariks Spiegelbild schwebte über seinem Kopf wie ein Geist. Als er das Gesicht hob, um zu ihm aufzublicken, starrte es mit verzerrter Fratze aus dem Glas auf ihn herab.
    »Irgendwas geht da vor«, raunte Tarik.
    »Kümmere dich nicht darum!«, verlangte der Narbennarr. »Weiter!«
    Tarik befand sich unter einer der gläsernen Brücken, die den Splittergraben überquerten. Am Himmel wimmelte es von Dschinnen, die aus dem Ruinenkranz des einstigen Kuppelpalastes aufbrachen und in nordwestliche Richtung schwebten. Unter der Brücke war Tarik vor ihren Blicken geschützt.
    Er hatte diesen Weg mit einer Selbstverständlichkeit eingeschlagen, als hätte er seit jeher von dem geheimen Pfad ins Innere der Ruine gewusst. Dass Amaryllis seine Schritte hierher gelenkt hatte, war ihm nur zu bewusst. Er wehrte sich nicht mehr gegen die Herrschaft des Narbennarren über seinen Körper, nicht in diesem Augenblick; sobald er seinen Halt verlor, würde er abstürzen, mitten in den Graben, der meterhoch mit Glasscherben gefüllt war, die meisten so lang und scharf wie Schwertklingen. Besser, er verließ sich auf Amaryllis’ Führung. Besser für sie beide.
    Er bewegte sich auf Händen und Füßen durch ein bizarres Netz aus gläsernen Strängen, das sich zwischen dem Brückenbogen und dem Grund des Grabens spannte. Einige der Stränge mochten einmal Säulen und Haltestangen gewesen sein. Die meisten aber sahen aus wie zähe Fäden, die von den Rändern der Brücke in das Grabenbett getrieft waren, manche senkrecht, andere schräg, ein paar sogar waagerecht, als hätte ein Windstoß sie zur Seite getrieben, während sie erstarrten. Nur ein bizarres Wunder mehr, das die Wilde Magie bei ihrem Ausbruch verursacht hatte.
    Tarik kletterte und hangelte sich durch dieses Gewirr aus gläsernen Streben, immer darauf bedacht, sein Gewicht nur solchen Strängen anzuvertrauen, die breiter waren als sein Oberschenkel. Viele der dünneren waren bereits zerbrochen. Ihre spitzen Überreste ragten von oben und unten in Tariks Weg, und es verlangte ein hohes Maß an Konzentration, sich an keiner den Leib aufzureißen.
    Während hoch über ihm noch immer weitere Dschinne ausschwärmten, erreichte er das Ende der Brücke. Vorsichtig zog er sich nach oben und suchte hinter einigen Glastrümmern Deckung.
    »Gut«, sagte sein Spiegelbild, zersplittert über zahllose Oberflächen. »Jetzt weiter.« Ein Dutzend blutunterlaufener Blicke, ein Dutzend dunkle Augenklappen. Almariks getrocknetes Blut klebte noch immer braun und schuppig an seinen Wangen, auf seiner Stirn, auch unweit der Mundwinkel. Er achtete kaum darauf. Er ekelte sich mehr vor sich selbst als vor den Spuren seiner Tat.
    Vor ihm befand sich eine Schneise im Trümmerring der ehemaligen Kuppel. Die unregelmäßigen Spitzen, letzte Überbleibsel der hohen Wölbung, ragten über ihm auf wie eine Silhouette gläserner Berggipfel. Sie alle waren leicht nach innen geneigt, als wollten sie jeden Augenblick zuschnappen.
    Der Schatten der schwebenden Glasscholle lag über dem Platz. Graues Zwielicht überlagerte den allgegenwärtigen Grünschimmer. Dennoch war es hell genug, um zu erkennen, was sich wie ein absurdes Totem inmitten des Trümmerkraters

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