Sturmkönige 03 - Glutsand
war an der Außenseite hinabgelaufen, als Khalis den Leichnam seiner Tochter aus dem Behälter gezogen hatte. Jetzt hafteten Sand und Staub an der Oberfläche wie brauner, klebriger Schlamm. Es stank süßlich und nicht allein nach Honig.
Aus Rücksicht auf Junis’ Wunsch hatte Sabatea darauf bestanden, Maryam mitzunehmen. Ifranji hatte sie einmal mehr für verrückt erklärt, aber das war nichts Neues. Selbst die junge Diebin schien sich daran zu gewöhnen und brachte ihre Vorwürfe nur noch halbherzig vor. Im Vergleich zu dem, worauf sie sich eingelassen hatten, war alles andere kaum noch bedeutend genug, um sich darüber zu ereifern.
Sie hätten Maryam ebenso gut aus dem Schrein nehmen können. Sie waren sicher, dass Khalis’ Zauber nicht mehr wirkte und der Körper binnen kürzester Zeit aufquellen würde wie ein nasser Brotlaib – Ifranjis Vergleich, natürlich, aber Sabatea konnte ihr nicht widersprechen. Verdammt, sie glaubte nicht einmal daran, Maryam wiederbeleben zu können. Und doch brachte sie es nicht über sich, sie zurückzulassen, nicht nach allem, was Junis auf sich genommen hatte, um sie über die Zagrosberge zu bringen. Sie hatte das Gefühl, ihm das schuldig zu sein.
Maryam aus dem Honig zu ziehen kam nicht in Frage, solange Nachtgesicht mit seinem Sturm den ganzen Schrein transportieren konnte. Sabatea scheute die Berührung des toten Fleischs, den Griff hinab in den heißen Honig und, wenn sie ehrlich war, vor allem die elende Sauerei, die das mit sich bringen würde. Ihr war jetzt schon schlecht von dem Gestank. Noch mehr davon konnte und wollte sie nicht ertragen, bei aller Freundschaft zu Junis und Respekt vor Tariks Schwur.
Die Sonne schien milchig durch die Dunstglocke über der Stadt. Die Glasscholle war nicht so groß wie jene, der sie in der Wüste begegnet waren; zweihundert Meter lang und halb so breit. Ihre Unterseite hing vierzig Meter über dem Boden, ihr Schatten lag wie ein Stück Abenddämmerung über den Ruinen eines mächtigen Kuppelgebäudes.
Vor langer Zeit musste der Bau einmal von einem Wassergraben umgeben gewesen sein. Er war längst ausgetrocknet, aber sein gläsernes Bett lag wie eine ringförmige Schlucht um die Trümmerinsel des Bauwerks. Das Ganze ähnelte einem verkleinerten Abbild Skarabapurs: das kreisrunde Ruinenfeld in der Mitte, rundum ein Graben. Wie tief er einmal gewesen war, ließ sich nicht mehr erkennen. Sein Grund war mit rasiermesserscharfen Scherben und Splittern bedeckt, als wäre einst das Wasser selbst zu Glas geworden und zerbrochen. Vom einstigen Ufer bis hinab zu der tödlichen Oberfläche waren es vier oder fünf Meter. Wer von oben in das zerstoßene Glas fiel, würde den Aufprall nicht überleben.
Brücken führten über den Scherbengraben. Einige waren eingestürzt, aber Sabatea erkannte auf ihrer Seite der Anlage zwei, die unversehrt aussahen. Ob sie noch begehbar waren, blieb fraglich; die Dschinne schwebten darüber hinweg, ohne die filigranen Konstruktionen zu berühren.
Das zerstörte Kuppelgebäude auf der Insel mochte einmal der Herrscherpalast Skarabapurs gewesen sein – falls es hier überhaupt je Menschen gegeben hatte. Wie hoch die Kuppel einst gewesen war, ließ sich nur noch erahnen. Übrig war allein ein kreisrunder Glasrand, gezahnt wie ein geöffnetes Haifischmaul, dessen Spitzen sich nach innen geneigt bis zu zwanzig Meter hoch über dem Boden erhoben.
An mehreren Stellen klafften Lücken in dem gigantischen Scherbenkranz und gewährten freie Sicht in das Innere des Bauwerks. Die Dschinne hatten einen Platz inmitten der gewaltigen Glastrümmer freigeräumt und etwas errichtet, das Sabatea auf den ersten Blick für eine Hinrichtungsstätte, auf den zweiten für einen gigantischen Thron hielt. Aber sie waren zu weit entfernt, und es schwebten zu viele Dschinne durch ihr Blickfeld, um Einzelheiten der bizarren Konstruktion im Zentrum der Ruine erkennen zu können.
»Was ist das?«, fragte Ifranji. Sie kauerte neben Sabatea und Nachtgesicht in den Trümmern, nicht weit vom Rand des Splittergrabens entfernt. Der Honigschrein stand einige Meter entfernt zwischen Überresten gläserner Wände und war vom Graben und der Kuppelinsel aus nicht zu sehen. Nur falls eine Dschinnpatrouille genau über ihr Versteck hinwegflog, liefen sie Gefahr, entdeckt zu werden.
»Zu groß für einen Thron«, murmelte Nachtgesicht, der denselben Gedanken wie Sabatea gehabt hatte.
»Käme auf denjenigen an, der darauf sitzen will«,
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