Sturmkönige 03 - Glutsand
erhob.
Tarik hatte den Knochenthron eines Dschinnfürsten nie mit eigenen Augen gesehen, aber dies hier mochte einer sein – nur ungleich größer, als wäre er für einen Riesen geschaffen worden. Die Rückenlehne aus Gebeinen ragte zwanzig Meter hoch und war nahezu halb so breit. Die Sitzfläche erschien dagegen unverhältnismäßig schmal und wurde rechts und links von massigen Wällen begrenzt, ebenfalls aus Knochen, viel zu hoch für Armlehnen nach menschlichem Maß. Dennoch gab es kaum Zweifel, dass es sich tatsächlich um einen monströsen Thron handelte, atemberaubend im Größenwahn seiner Konstruktion.
Eine schmale Gestalt war mit gespreizten Armen und Beinen an die Rückenlehne gekreuzigt worden, mehrere Mannslängen oberhalb des Sitzes.
Nicht gekreuzigt, erkannte Tarik wenig später, sondern in die Lehne eingeflochten wie ein abscheuliches Ornament.
»Wer ist das?«, flüsterte er und sah, dass sein Spiegelbild die Lippen dabei fest aufeinanderpresste.
»Du weißt es«, antwortete der Narbennarr. Ein Funkeln erschien in seinem einen Auge im Glas. »Sieh ihn dir ganz genau an. Erinnere dich!«
Die leblose Gestalt war zu klein und schmächtig für einen erwachsenen Menschen. Ein Kind. Sein entblößter Körper wurde von mehreren Querstreben aus Knochen gehalten, die verbargen, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelte. Die Haut war schneeweiß, der Schädel haarlos.
»Jibril?«, entfuhr es Tarik.
Amaryllis antwortete nicht. Tarik meinte Ungewissheit in den Zügen seines Spiegelbildes zu erkennen, vielleicht auch nur seine eigene Verwunderung darüber, den Jungen ausgerechnet hier zu finden. Junis hatte von ihm gesprochen, aber Tarik war ihm selbst nie begegnet. Es hätte ebenso gut irgendein anderes Kind sein können. Und doch sagte ihm sein Instinkt – oder womöglich gar das fremde Wissen in seinen Gedanken –, dass er mit seiner Vermutung nicht vollkommen falschliegen konnte.
»Was du dort siehst«, sagte der Narbennarr, »ist der Dritte Wunsch.«
Tariks Blick zuckte von seinem Spiegelbild zurück zu dem Kind in der Knochenlehne. Langsam schüttelte er den Kopf. »Der Junge?«
»Er ist kein gewöhnlicher Mensch«, sagte Amaryllis. »Die Magier haben ihn für ihre Versuche benutzt. Er sieht aus wie eines eurer Kinder, aber das ist er nicht. Er ist wie ein Gefäß, in das seit vielen Jahren die Macht aller dritten Wünsche strömt.«
Tarik war abgestoßen von der Grausamkeit der Dschinne und zugleich fasziniert von dem, was der Narbennarr da andeutete. »Ihr missbraucht ein Kind als Gefäß für die Wunschmacht? Ihr sammelt sie… in ihm?«
Die Dschinne waren für den Tod Hunderttausender Kinder verantwortlich, abgeschlachtet in dem halben Jahrhundert seit Beginn des Krieges. Eines mehr oder weniger hätte ihn kaum erschüttern dürfen. Und doch war etwas an diesem weißhäutigen wehrlosen Körper, das ihn stärker berührte als der Anblick der Leichenmonumente von Buchara oder der Sklavenlager in den Weiten des Dschinnlands.
Eine Stimme – nicht die des Narbennarren – schien ihm zuzuraunen, dass Amaryllis mit einem jedenfalls Recht hatte: Das dort oben war kein gewöhnliches Kind, nicht einmal mehr ein Mensch.
»Ihr habt ihn in den Zagrosbergen gefangen genommen und hierhergebracht«, stellte er fest, wollte weitere Fragen stellen, doch der Narbennarr fiel ihm einmal mehr ins Wort:
»Du täuschst dich. Er ist schon sehr viel länger hier, seit mehr als fünf Jahrzehnten. Er wurde kurz nach dem Ausbruch der Wilden Magie nach Skarabapur gebracht. Damals haben die Experimente mit ihm begonnen. Er saugt die Wunschmacht auf wie ein Schwamm das Wasser. Sie ist in ihm. Dieser Thron, diese Apparatur wurde errichtet, damit einer von uns darauf Platz nehmen und die Wunschmacht lenken kann, wenn es so weit ist. Die Magier haben jahrzehntelang nach Wegen gesucht, die Macht der Wünsche unter ihre Kontrolle zu bringen, und zuletzt ist es ihnen gelungen. Die Knochenthrone der Fürsten waren nur der Anfang. Auch in ihnen ist Leben, ist etwas wie ein schlagendes Herz, das seine Kraft auf jene überträgt, die darauf sitzen und eins mit ihm werden.« Tariks Spiegelbild verriet durch seine steinerne Miene, dass nicht einmal dem Narbennarr bei diesem Gedanken wohl war. Als wüsste er, dass die Dschinne an etwas gerührt hatten, das ihr eigenes Begreifen überstieg. »Seit Tagen wird alles vorbereitet, um den Thron des Dritten Wunsches nach Bagdad zu bringen. Erst dort, vor den Augen aller,
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