Sturmkönige 03 - Glutsand
abzufangen. Die Wälle selbst boten keinen Schutz gegen einen Feind, der mühelos darüber hinwegfliegen würde; doch gerade deshalb galten die Bogenschützen des Kalifats als die besten der Welt, ihre Katapulte als ungeheuer zielgenau und die Männer der Falkengarde als die erfahrensten Teppichreiter des Orients. Niemand, nicht einmal ein Vogel, hätte unbemerkt die wirbelnde Himmelskuppel über den Dächern und Türmen passieren können.
Junis näherte sich der Stadt in einem weiten Bogen von Südosten. Er hatte nicht vor, sich mit der Falkengarde anzulegen; für das, was er vorhatte, musste er nicht nach Bagdad hinein. Ein gutes Stück östlich des Tigris ließ er seinen Teppich in der Luft stillstehen, hundert Meter über der Wüste. Von hier oben aus verschaffte er sich einen Überblick.
Bagdad lag am anderen Ufer, in einer engen Biegung des Flusses, inmitten der endlosen Ebene. Tausende von Soldaten bevölkerten die Mauerkränze mit den einhundert Türmen. Ungleich größer war die Zahl jener, die am Fuß des äußeren Walls einen Ring aus Menschen und Verteidigungsmaschinen bildeten. Alles war bereit für die Schlacht. In ihrem Rüstzeug aus Eisen und Leder brieten die Krieger in der gnadenlosen Wüstenhitze, während sich die Dschinne Zeit ließen. Zwar sah es nach wie vor aus, als stünde der Angriff aus dem Westen unmittelbar bevor, aber noch hatte die Attacke nicht begonnen.
Junis begriff, was auch Bagdads Heerführer längst erkannt haben mussten. In ein paar Stunden würde die Sonne niedrig über dem westlichen Horizont stehen und die Bogenschützen der Verteidiger blenden. Mit dem Licht im Rücken würde es den Dschinnen leichter fallen, dem Pfeilhagel zu entgehen und die Schwärme der Teppichreiter anzugreifen. Womöglich brauchten die Dschinne für ihre erste Angriffswelle gar keine Kriegsmaschinen, keine Sklavenheere am Boden und keine Scharen hirnloser Dienerkreaturen – nur die gleißende Abendsonne im Rücken.
Junis war nicht hier, weil er ernsthaft glaubte, noch etwas bewirken zu können. Nur um seinen Schwur zu erfüllen – oder bei dem Versuch ums Leben zu kommen. Trauer und Leid hatten Narben hinterlassen, die es ihm unmöglich machten, irgendetwas anderes zu empfinden.
Was zählte waren die wenigen klaren Augenblicke vor Maryams Tod gewesen, als sie ihm den Eid abgenommen hatte, Jibril zu befreien. Grund genug, alles andere beiseitezuschieben. Sogar seine Wut auf den Jungen, die sich mit jedem Tag mehr und mehr zu Hass verhärtete.
Das Wiedersehen mit Tarik und Sabatea, dem er nach den Ereignissen in den Hängenden Städten so entgegengefiebert hatte, war ihm vorgekommen wie ein diffuser Traum. Verschwommen hinter einem Nebel, zu unwirklich, um dabei mehr als schemenhafte Erleichterung zu empfinden. Was sie vorhatten war ebenso aussichtslos wie sein eigener Plan.
Das Muster des Teppichs vibrierte um seine Finger, zum Zerreißen angespannt wie er selbst. Unter seinen Händen war das Knüpfwerk zu neuem Leben erwacht, und nun teilte es seine Bereitschaft, alles aufs Spiel zu setzen. Teppich und Reiter verschmolzen zu einer Einheit, als Junis dem Muster befahl, in einem Halbkreis Bagdad zu umrunden und sich von Norden der Dschinnarmee vor den westlichen Mauern zu nähern. Aus diesem Blickwinkel hatte das Heer die Sonne nicht mehr im Rücken. Junis konnte die Feinde nun deutlicher ausmachen.
Abermals ließ er den Teppich in der Luft verharren, gerade nah genug, dass die Wolke der Dschinnkrieger vor seinen Augen zu zahllosen Punkten zerfiel, ein purpurner Heuschreckenschwarm, der aus dem Flirren der Nachmittagshitze näher rückte.
Doch der erste Eindruck täuschte. Sie kamen nicht auf ihn zu, konnten ihn mit ihrer unterlegenen Sehkraft noch gar nicht entdeckt haben. Stattdessen setzten sie sich gegen Bagdad in Bewegung.
Junis war gerade rechtzeitig gekommen, um Zeuge des ersten Angriffs zu werden.
Ein Pfeilhagel fegte dem Dschinnschwarm entgegen, eine schwarze, wimmelnde Flut, die sich in einem weiten Bogen von den Zinnen Bagdads und aus den Reihen der Soldaten am Fuß der Mauern erhob. Trotz der Sonne trafen nicht wenige ihre Ziele, schlugen in den Schwarm der Dschinnkrieger und holten zahlreiche von ihnen vom Himmel. Trudelnd und kreischend sanken die Kreaturen in die Tiefe. Viele waren von drei, vier und noch mehr Pfeilen durchbohrt worden.
Auf die erste Salve folgte unverzüglich eine zweite, dann eine dritte. Jetzt schossen auch die Männer der Falkengarde oben am
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