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Sturmkönige 03 - Glutsand

Sturmkönige 03 - Glutsand

Titel: Sturmkönige 03 - Glutsand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Oberfläche und zogen wabernde Spuren. Dann folgten die merkwürdig geformten Oberkörper, schließlich die Rösser selbst.
    Die Elfenbeinpferde – und zwar alle zehn, ohne Ausnahme – waren entstellt. Einige schienen verwachsen. Aber Zauberpferde waren künstliche Geschöpfe, und jede Veränderung musste von fremder Hand herbeigeführt worden sein. Einige von ihnen humpelten trotz ihres schnellen Laufs auf den Lüften, andere schienen Mühe zu haben, ihren Schwingenschlag in gleichmäßigem Rhythmus zu halten. Sabatea sah ein Pferd ohne Augen, ein anderes mit einem dritten Beinpaar. Eines besaß statt eines Schweifs einen Rattenschwanz, an dessen Spitze ein dolchlanger Dorn saß wie der Stachel eines Skorpions. Gleich mehrere hatten kein Fell, sahen aus wie aus weißem Holz geschnitzt, und mindestens drei oder vier wiesen tiefe Kerben und Schnitte auf, unverheilte Wunden, weil ein Elfenbeinpferd zwar zerstört werden, aber nicht bluten konnte.
    Die Reiter waren hochgewachsen, mindestens zwei Köpfe größer als Sabatea, was sie auf den Rücken der Pferde grotesk erscheinen ließ – als hätte man einen hageren Riesen auf ein zartes Fohlen gesetzt. Den Elfenbeinpferden schien es nichts auszumachen, aber auf Sabatea verstärkte es den Eindruck einer aberwitzigen Überzeichnung, als wären diese Gestalten aus einem ihrer Alpträume ans Tageslicht geprescht. Nah an der Wirklichkeit und doch nicht ganz real.
    Die Reiter waren knochig, aber nicht ausgehungert. Vielmehr schienen ihre Körper von Natur aus so beschaffen zu sein, kantiger als gewöhnliche Menschen, ungeheuer breitschultrig, als besäßen sie einen anderen Knochenbau. Ihre Oberkörper waren nackt, auch die der wenigen Frauen unter ihnen. Um ihre schmalen Hüften hatten sie Tücher gebunden, farblos und ohne jede Zier.
    Jeweils zwei zogen zu beiden Seiten an Sabatea vorüber, noch immer gut zwanzig Meter von ihr entfernt. Dann schwenkten sie aufeinander zu, setzten sich vor sie und vereinten sich zu einer Reihe. Aber noch immer machte niemand Anstalten, sie aufzuhalten oder anzugreifen.
    Nun sah sie, was die Männer auf ihren Rücken trugen.
    Die verkümmerten Überreste von Flügeln.
    Erst glaubte sie, die merkwürdigen Gebilde seien umgeschnallt, doch schon einen Augenblick später erkannte sie die Wahrheit. Stümpfe von Schwingen wölbten sich auf Höhe der Schulterblätter aus ihren Rücken, dürre, knochige Strukturen, mit Haut überzogen wie die Überreste amputierter Gliedmaßen. Aber die Flügel der Reiter waren nicht abgeschnitten worden. Es gab keine Anzeichen von Wunden, keine Narbenbildung. Sie alle mussten mit dieser Verstümmelung geboren worden sein.
    Und da endlich begriff sie, wen sie vor sich hatte.
    Dies waren die Roch. Die Nachfahren jener Kreaturen, die einst die Hängenden Städte erbaut hatten. Seit vielen Zeitaltern galten sie als ausgestorben, als Legenden. Schreckgespenster, um ungezogene Kinder einzuschüchtern. Nachtmahre, die heraufbeschworen wurden, wenn von Zeiten erzählt wurde, in denen es keine Dschinne und Wilde Magie gegeben hatte. Die Roch, geflügelte Männer und Frauen – oder Raubvögel in Menschengestalt? Darüber stritten sich die Märchenerzähler im Gewürzdunst der Basare ebenso wie die Weisen in ihren Bibliotheken voller Papyrusrollen und Steintafeln.
    Die Roch, die es eigentlich gar nicht geben durfte.
    Sie hatte selbst nicht daran geglaubt, bis sie die Hängenden Städte mit eigenen Augen gesehen hatte – und die Pferche am Grund der Rochgrotte, die von den Dschinnen zu Gefängnissen ihrer Sklaven gemacht worden waren.
    Einst, lange bevor die Wilde Magie die Dschinne in die Welt geboren hatte, waren die Roch die Plage der frühen Menschheit gewesen. Sie hatten ihre Kriege untereinander von menschlichen Gefangenen austragen lassen, hatten sich einen Spaß daraus gemacht, Männer, Frauen und Kinder in ihren Felsenarenen aufeinanderzuhetzen wie Kampfhunde. Doch dann waren sie verschwunden und mit ihnen das Grauen, das sie einstmals verbreitet hatten.
    Sabatea überlegte fieberhaft. Hatte sie noch eine Chance zu entkommen? Die Elfenbeinpferde der Roch mochten missgebildet sein, aber sie waren nicht langsam. Sie trugen Zaumzeug und Sattel, was an sich schon unerhört war – und bedeutete, dass sie gezähmt waren und ihren Meistern gehorchten. Mit ihren Körpern war auch ihr Wille gebrochen worden. Sabatea hatte davon gehört, dass Dschinne derartige Experimente an gefangenen Zauberpferden durchgeführt hatten.

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