Sturmkönige 03 - Glutsand
wieder, ließ das Mädchen unbeschadet zurück und raste brüllend auf Junis zu.
Fliegende Pferde
Majestätisch glitt das Elfenbeinpferd über die oberen Schichten des Nebels. Manchmal berührten seine Hufe im Galopp auf den Lüften die wolkige Oberfläche; dann teilten sich die Schwaden, bildeten glühende Gischt und trieben in lautlosen Fächern auseinander.
Sabatea war sich der Illusion dieses flirrenden Ozeans aus Dunst und Helligkeit durchaus bewusst. Das Zauberpferd trug sie über den Abgrund, und nur Zarathustra mochte wissen, was unter ihnen lag. Der Nebel schien von innen heraus zu leuchten, aber auch das war eine Täuschung. Woraus auch immer er bestehen mochte – er reflektierte das Sonnenlicht vom Himmel und erweckte den Eindruck, dass dort unten schemenhaftes Licht glomm und bis zu ihr heraufstrahlte.
Sogar die wallende Oberfläche war nichts als ein Trugbild. Der Nebel erfüllte auch weiter oben die Luft, nur nicht so dicht wie unter den Hufen des Elfenbeinpferdes und ohne die wundersamen Lichterscheinungen in der Tiefe. Dort unten zogen sich fantastische Schlieren durch den Abgrund wie goldene Seidenbänder auf trägen, zähflüssigen Wogen. Flammenringe stiegen wie Luftblasen aus den Untiefen einer rätselhaften See, vereinigten sich, einer größer als der andere, und trieben schließlich auseinander wie Kreise von Regentropfen auf einem stillen Teich.
Sabatea konnte noch immer nicht glauben, dass sie auf einem leibhaftigen Elfenbeinpferd ritt. Sie war mit dem Wissen über diese wunderbaren Wesen aufgewachsen, mit der Gewissheit, dass kein Mensch je eines dieser Pferde zähmen konnte. Alle Versuche, eines zu fangen, waren stets fehlgeschlagen. Ihr Vater, der Emir Kahraman Ibn Ahmad, der Despot von Samarkand, hatte ein Dutzend Pferdebändiger hinrichten lassen, die von sich behauptet hatten, ihm eines der ängstlichen Geschöpfe bringen zu können. Es war keinem jemals gelungen.
Und nun saß sie selbst auf dem Rücken eines Zauberpferdes. Der Geruch – nach Zimt, nach Stall, nach Schmierfett – war ihr bereits so vertraut, dass sie ihn kaum noch wahrnahm. Die knirschenden, ein wenig mechanischen Laute, die manche seiner Bewegungen begleiteten, erschienen ihr ganz selbstverständlich. Und wenn sie sich ein wenig vorbeugte und hinab zu den Läufen blickte, dann sah sie die Gelenke aus Schrauben und Scharnieren schimmern und fand nichts Unnatürliches daran.
Dann und wann stieß das Elfenbeinpferd ein Schnarren aus, das nur entfernt an ein Wiehern erinnerte. Sie glaubte zu verstehen, was es ihr damit sagen wollte. Keine Worte, natürlich nicht; aber sie spürte ein Kribbeln wie es einen überkommt, wenn man die Gefühle eines anderen für sich selbst entdeckt und ihnen vertraut. Wenn man sich ganz und gar öffnet. Das war es, was sie und das Zauberpferd verband, vielleicht schon von Anfang an.
Sie war nun so gut wie sicher, dass es dasselbe Pferd war wie jenes, dem Junis und sie auf der Alten Bastion begegnet waren, kurz nach ihrem Aufbruch aus Samarkand. Vollkommene Gewissheit würde sie wohl niemals haben, aber ihr gefiel der Gedanke, dass sie einander schon damals erkannt hatten. Dass es ihnen bestimmt war, gemeinsam diese eine letzte Reise anzutreten.
Ein paar Mal hatte sie über die Schulter gesehen, zum grüngrauen Horizont der Glaskante. Schon bald aber war er von den Schwaden verhüllt worden, erst noch ein Umriss, dann ganz verschwunden. Es kostete sie einige Anstrengung, Tarik aus ihren Gedanken zu vertreiben, sein Gesicht zu ignorieren, das immer wieder vor ihre Augen trat. Wenn sie die Lider schloss, sah sie ihn noch deutlicher, dann stieg er aus der Dunkelheit auf wie die Flammendiademe aus den Tiefen der Nebelsee unter ihr. Darum bemühte sie sich, den Blick immer auf etwas Gegenständliches zu richten, selbst wenn in Wahrheit nichts da war. Formen, die der Dunst erzeugte, Abbilder von Menschen oder Tieren oder Wesen der Wilden Magie, nur Luft und willkürlich wabernde Schwaden, aber vor ihren Augen solide genug, um all das andere zu vertreiben, das ebenso fern war und dennoch schmerzlich auf sie eindrängte: Tarik und Almarik und ihr gemeinsames Schicksal. Junis allein auf dem Weg nach Bagdad, in der Hölle des Angriffs, der womöglich längst über die Stadt hereingebrochen war. Und zuletzt und seltsam verschwommen: ihre Mutter Alabasda, gefangen in den Kerkern Samarkands.
Harun al-Raschid hatte vor seinem Tod Befehl gegeben, den Emir zu ermorden und Alabasda zu
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