Sturmkönige 03 - Glutsand
Tarik. Kreaturen des Dschinnlands hatten sich nicht blicken lassen, und er vermutete längst, dass hier andere Regeln galten als in den Wüsten zwischen Bagdad und Samarkand. Im Grunde war es gleichgültig. Sabatea hatte die Sanduhr von Anfang an für unnötig gehalten, und zum ersten Mal dachte er, dass sie womöglich Recht gehabt hatte. Wie mit so vielem, das sie gesagt hatte.
»Über acht Stunden.« Der Magier holte tief Luft. »Wenn diese Brücke über den Abgrund nach Skarabapur führt -«
»Was wir nicht wissen«, warf Ifranji ein.
Khalis nickte beiläufig. »Wenn sie nach Skarabapur führt, wie lang kann sie dann wohl sein, ohne zusammenzubrechen? Lang genug, dass ein Elfenbeinpferd mehr als vier Stunden brauchen würde, um das andere Ende zu erreichen?« Der Magier schüttelte nachdenklich den Kopf. »Schwer vorzustellen.«
»Was genau willst du damit sagen?«, fragte Tarik gereizt.
»Du weißt, was ich sagen will.«
»Sie wird zurückkommen.«
»Vielleicht.« Khalis zuckte die Achseln. »Vielleicht auch nicht.«
Tarik zwang seine Aufmerksamkeit zurück in die nebelige Weite jenseits der Kante. Er hätte Sabatea niemals gehen lassen dürfen.
»Wenn wir jetzt aufbrechen, könnten wir an der Brücke sein, bevor es dunkel ist«, sagte Khalis.
Nachtgesicht verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir gehen nicht ohne Sabatea!«
Der Alte winkte ab. »Was du tust, kümmert mich nicht. Ich bezweifle, dass wir deine Dienste dort draußen noch nötig haben.«
Ifranji machte einige drohende Schritte auf den Magier zu. »Die Brücke haben wir entdeckt, alter Mann. Nicht du, nicht dein Ifritjäger, und auch sonst keiner.«
Almariks Stimme klang eine Spur schärfer als zuvor, als er sie mit einer Handbewegung von dem Magier fortwinkte. »Nicht so nah.« Er blieb sitzen, aber seine Augen folgten aufmerksam jeder ihrer Bewegungen.
Sie wich nicht zurück, kam dem Alten aber auch nicht näher. Ihre großen Augen verengten sich vor Wut.
Tarik mischte sich nicht ein. Es gerade jetzt auf einen offenen Konflikt ankommen zu lassen, war sinnlos. Ihnen allen musste klar sein, dass er sich hier nicht fortbewegen würde, ganz gleich welche Argumente der Magier sich einfallen ließ.
»Wer gehen will, kann das tun«, sagte er nur. »Ich bleibe.«
Khalis schüttelte den Kopf. »Kommt nicht in Frage.«
Etwas war anders als noch vor wenigen Augenblicken.
Tarik bemerkte es einen Augenblick zu spät: Das Schrammen des Schleifsteins war verstummt. Als er den Kopf wandte, war die Stelle, an der Almarik gesessen hatte, leer.
Im selben Moment brüllte Nachtgesicht eine Warnung. Zugleich setzte sich Ifranji in Bewegung, glitt an Khalis vorüber und rannte auf Tarik zu.
Almarik war lautlos hinter ihn getreten. Die Rufe der anderen lenkten Tarik einen Moment lang ab. Dann aber sah er die Bewegung am Rande seines Sichtfelds, die schwarze Gestalt des Byzantiners. Wollte ausweichen, sich zugleich noch ducken.
Almariks Schlag traf ihn im Nacken, riss ihn zu Boden und schleuderte ihn gefährlich nah an den Rand des Abgrunds. Er prallte auf Glas, rollte sich von der Kante fort und stieß sich wieder ab. Er hatte nicht vergessen, wie schnell der Byzantiner war. Schon einmal hatten sie gekämpft, in Almariks Haus in Bagdad. Der Ifritjäger sagte nichts, aber in seinen Augen stand blanker Hohn. Hier draußen gibt es keine Silberschlangen, die dich retten, Schmuggler.
Der Tritt traf Tarik in den Magen, bevor er sich vollständig aufrichten konnte. Er versuchte, den Schmerz und die Atemnot zu ignorieren, sich nach vorn zu werfen, gegen Almarik, ihn nach hinten zu reißen – aber da raste schon Ifranji an ihm vorbei, prallte gegen den Byzantiner und zog zugleich den Dolch aus dem Gurt an ihrem Bein.
Almarik fegte die Klinge mit einem Schlag beiseite. Die Waffe flog davon, während Ifranji sich an ihn krallte, ihn herumtaumeln ließ und unabsichtlich immer näher an den Abgrund manövrierte. Sie hing vor seiner Brust, den Oberkörper an sein Gesicht gepresst, die Beine hinter seinem Rücken gekreuzt. Er bekam ihre Zöpfe zu fassen und riss brutal ihren Kopf nach hinten. Gellend schrie sie auf und grub zugleich ihre Hände in sein Gesicht, tastete mit den Fingern nach seinen Augen.
Tarik stand schwankend und vornübergebeugt da und schnappte nach Luft. Er konnte wieder atmen, schleppend, aber in seinem Hals stand Erbrochenes, und der Rand des Abgrunds flimmerte vor seinen Augen, als wäre er nicht wirklich da, nur eine Luftspiegelung.
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