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Sturmkönige 03 - Glutsand

Sturmkönige 03 - Glutsand

Titel: Sturmkönige 03 - Glutsand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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eigennützig von ihm, und er wusste es. Aber die Wut brodelte in ihm und drängte nach außen, und er fühlte sich wieder wie damals in Samarkand und fragte sich zugleich, ob er diesen Teil seiner selbst wohl niemals loswerden würde. Den Jähzorn, den Hohn, am Ende die Gewaltausbrüche.
    Und dann spürte er wieder den Anderen an den Wurzeln seines Verstandes, wie ein Parasit, der sich dort festgesetzt hatte, und er dachte: Ich bin es nicht. Er ist es. Er tut mir das an, und er macht sich einen Spaß daraus.
    Maryam ist damals freiwillig mit mir gekommen, flüsterte der Narbennarr, weil ich ihr die Wahrheit versprochen habe. Vollkommene Wahrheit. Ich war ehrlich zu ihr. Und wie ehrlich warst du?
    »Tarik!« Sabatea packte ihn an der Schulter und schüttelte ihn. Sie hatte ihre Stimme zu einem beschwörenden Zischen gesenkt. »Reiß dich zusammen. Was auch immer es ist… Behalt es vorerst für dich.« Sie stand vor ihm, sah ihn finster und auch ein wenig besorgt an, und als er widerstrebend nickte, noch immer wie in Trance, da trat sie zur Seite, und er sah, dass da noch jemand war.
    Mehrere Roch hatten die Treppe erklommen und waren zu ihnen auf das sandige Plateau zwischen den Felsspalten getreten. In ihrer Mitte stand eine hohe, schlanke Gestalt, nackt bis auf die schillernden Federn, die ihren Körper bedeckten.
    Die Brutmutter zeigte mit einer schmalen Hand auf ihn. »Du bist nicht allein«, sagte sie. »Da ist noch einer in dir.«

 
Crahac
     
     
    Die Brutmutter der Roch überragte Tarik um mehr als einen Kopf. Obwohl sie ohne jeden Zweifel das Äußere einer Frau besaß, menschenähnlicher als die Krieger, die sie beschützten, kam ihm kein einziges Mal der Gedanke, dass sie wahrhaftig ein Mensch sein könnte.
    Die Anmut ihres Körpers war atemberaubend. Doch das war eine Eigenschaft, die ein Mann an einer Frau bewundern mochte. Tarik hingegen sah sie als etwas ganz und gar Fremdes, als ein Wesen, das die idealisierte Gestalt eines Menschen angenommen hatte und doch mit jeder Bewegung, jedem Blick verriet, dass etwas anderes darunter lauerte. Die messerscharfe Beobachtungsgabe eines Habichts. Die Kraft des Adlers. Die eisige Entschlossenheit eines Raubvogels, sein Nest und Gelege vor Feinden zu schützen.
    Wie der Rest ihres Volkes besaß sie keine Flügel, nur winzige Ausbuchtungen oberhalb der Schulterblätter. Und doch vermittelte sie den Eindruck, sich im nächsten Augenblick in die Luft zu erheben, eine majestätische Runde über ihren Köpfen zu drehen – um sich dann blitzschnell auf sie zu stürzen und sie ohne Reue zu vernichten.
    Die Federn, die jeden Fingerbreit ihres Körpers unterhalb des Kinns bedeckten, raschelten leise. Sie schillerten in betörenden Farben, was Tarik unangenehm an die Flammenmale der Dschinne erinnerte. Als sie sprach, offenbarten ihre Lippen eine spitze Vogelzunge und scharfe Knochenkämme an Stelle von Zähnen.
    Ihre schwarzen Augen musterten Tarik. Die ausgestreckte Hand wies noch immer in seine Richtung. »Du bist zwei«, sagte sie, und diesmal klang es wie eine Anklage.
    Noch während sie sprach, fragte sich Tarik, ob sie wirklich die Mutter aller Roch war oder ob es sich dabei nur um einen Titel handelte.
    »Ich bin Tarik al-Jamal«, sagte er.
    Der Federflaum am eleganten Hals der Brutmutter stellte sich aufrecht. Sie legte den Kopf schräg, drehte ihn zur Seite und beobachtete Tarik aus dem Profil heraus nur noch mit einem Auge, wie es neugierige Vögel manchmal tun.
    »Warum ist er zwei?«, fragte sie.
    »Auf meinem Gefährten lastet ein Fluch«, sagte Sabatea.
    Ein Fauchen wanderte von Roch zu Roch.
    »Und da bringst du ihn zu uns?«, fragte die Brutmutter schneidend.
    »Wir werden euch so schnell wie möglich wieder verlassen. Sobald wir wissen, was mit unseren anderen Freunden geschehen ist.«
    »Du bist nur ein Gast«, sagte die Brutmutter. »Aber du könntest auch Beute sein. Genau wie er.«
    »Lasst uns nach unseren Freunden suchen«, bat Sabatea. »Dann brechen wir wieder auf.«
    »Ihr bringt Unglück, du und er und die anderen. Unglück über uns alle.«
    Tarik dachte, dass es nicht viel schlimmer kommen konnte, als in irgendeiner Grube am Fuß der Spalten zur Belustigung der Roch um sein Leben kämpfen zu müssen. Er machte einen Schritt nach vorn, auf die Brutmutter zu. Sie stieß ein Fauchen aus wie ein aggressiver Schwan. Rochwächter mit Lanzen verstellten ihm den Weg.
    »Wenn ihr mich tötet, wird mein Fluch bei euch zurückbleiben«, behauptete er.

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