Sturms Flug
doch Ärztin. Ich habe es mir gedacht.«
Sie lächelte dünn, machte jedoch keine Anstalten, den Irrtum aufzuklären. Dazu fehlte die Zeit.
»Ich … ich habe deinen Brief gelesen«, fuhr er fort. »Das heißt, er wurde mir vorgelesen, von einem Freund, der bei mir zu Hause nach der Post gesehen hat. Ich …«
Mara legte ihre Hand auf die seine und die der Punkerin. »Nicht jetzt.« Sie senkte die Stimme und sprach schnell. »Wenn ich oben bin, wartet eine Minute, dann macht, dass ihr wegkommt! Niemand wird sich um euch kümmern, dafür werde ich sorgen. Lauft unter den Rumpf der Maschine und dann zum Heck.«
»Aber …«, setzte er an, doch wieder unterbrach sie ihn.
»Denkt daran, was ich euch gesagt habe. Lauft!« Sie drückte sich an ihm vorbei. »Ich hoffe, dass du mir nicht böse bist«, sagte sie, während sie die nächsten Stufen nahm. »Und ich heiße nicht Hanna.«
Er drehte sich nach ihr um. »Natürlich bin ich dir nicht böse. Wie könnte ich, Mara.«
Der Schwarze, der die Koffer durchsucht hatte, verschwand bereits im Flugzeug, doch an seiner Stelle erschien ein anderer Mann und trat neben den Fackelträger. Das grelle Magnesiumfeuer machte aus ihm einen anonymen Schattenriss, doch sie erkannte sofort seine Stimme.
»Was gibt es da unten zu quatschen?«, schimpfte Asad in seinem Oxford-Englisch. »Komm endlich an Bord oder zieh Leine!«
Sie senkte den Kopf, damit er ihr nicht ins Gesicht sehen konnte, fasste mit der linken Hand in die Außentasche des Koffers, schob ihre schlanken Finger durch die Mullbinden und bekam das Mobiltelefon zu fassen. Noch beim Herausziehen drückte sie auf die Verbindungstaste, wodurch automatisch die letzte der zuvor angerufenen Nummern gewählt wurde.
Der große Bluff konnte beginnen.
Kapitel 41
Noch 9 Minuten bis zur Stürmung von Flug SWX 714
Drei Spezialeinsatztrupps ( SET ) der GSG 9, bestehend aus insgesamt fünfzehn Männern in schwarzen Overalls und ballistischen Schusswesten, mit Sturmhauben und Kevlarhelmen näherten sich dem Flugzeug von achtern.
Einer der drei Truppführer dachte an seinen Bruder. Das ärgerte ihn, zum einen angesichts der Lage, die volle Konzentration auf den bevorstehenden Einsatz erforderte, zum anderen, weil er seinen Bruder nicht besonders mochte, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Doch aus irgendeinem Grund hatte der Blödmann ihm eine Urlaubskarte geschickt, nach fast fünf Jahren Funkstille. Sie war in Kenia abgestempelt worden, und deswegen drängte sie sich dem Anführer des SET in diesem Moment ins Bewusstsein, da auch das entführte Flugzeug, das es zu stürmen galt, aus Kenia kam.
Seine Männer und die der beiden anderen SET s marschierten langsam, scheinbar ohne Eile und wie die Ameisen einer hinter dem anderen, während hoch über ihren Köpfen eine Spionagedrohne schwebte. Die Drohne war mit einer Kamera versehen, deren Bilder per Funk auf einen Monitor übertragen wurden. Zwei wachsame Augenpaare beobachteten den Monitor.
»Weiter rechts halten«, sagte der ältere Beobachter in das Mikrofon vor seinem Mund. »Etwa anderthalb Meter.«
Sofort schwenkten die Truppführer nach rechts, und die drei Ameisenkolonnen folgten der Bewegung. Das war wichtig, denn ihre Annäherung an das Flugzeug musste in einer exakt geraden Linie erfolgen, die eine direkte Verlängerung des Rumpfes der Maschine darstellte. Nur so konnte man sicher sein, dass niemand, der aus dem Einstieg spähte, sie entdeckte. Vorausgesetzt, er lehnte sich nicht allzu weit hinaus.
»Noch rund fünfhundert Meter«, kam es über den Helmfunk. »Die Peilung ist gut. Weiter so.«
Das vorläufige Ziel der Spezialkräfte lautete, unter den Flugzeugrumpf zu gelangen, denn dort war es so gut wie ausgeschlossen, dass man sie entdeckte. Danach würden sie die mitgeführten Leitern bereitmachen, anschließend jeweils ein SET an den beiden Steuerbord-Einstiegsluken in Stellung gehen sowie eins an der hinteren Backbordluke. Der vorderen Backbordluke würde man sich nicht nähern, denn dort war bereits eine Gangway herangeschoben worden, sodass die Gefahr, entdeckt zu werden, zu groß war.
»Noch vierhundert Meter«, ertönte es im Helmfunk. »Am Objekt ist alles ruhig. Vor einer halben Minute ist der letzte von drei Sanitätern an Bord gegangen, jetzt ist keine Bewegung mehr auszumachen.«
Nachher, wenn die Leitern erklommen waren und sich die jeweiligen Truppführer vor den Luken befanden, begann die eigentliche Erstürmung der Maschine, das Boarding . Dieser
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