Sturms Flug
Begriff bezeichnete den anspruchsvollsten und gefährlichsten Teil im Kampf gegen Luftpiraten, und jeder Beamte, der an einem solchen Einsatz teilnahm, hatte es zuvor mindestens 500 Mal geübt.
Ein Helikopter würde vom Himmel fallen, um das Flugzeug mit sogenannten Irritationskörpern einzudecken. Diese richteten zwar keinen Schaden an und setzten auch keinen der Geiselnehmer außer Gefecht, doch dafür verursachten sie einen Lärm, als hätte die Hölle ihre Pforten geöffnet. Die Wirkung: Stress. Und während das Spektakel hoffentlich für genügend Verwirrung sorgte, mussten die Truppführer so schnell wie möglich die Luken öffnen – auch das war unendliche Male trainiert worden –und Schockgranaten in die Maschine werfen. Diese explodierten mit einem fürchterlichen Knall und einem grellen Lichtblitz, der selbst die Stroboskop-Effekte in einer Disco wie 20-Watt-Glühbirnen aussehen ließ. Das alles zusammen führte zwangsläufig zur kurzfristigen Orientierungslosigkeit, sowohl bei Passagieren als auch bei Entführern.
Trotzdem war die Erstürmung eines Flugzeuges bei Tag, ohne den Schutz der Dunkelheit und den Vorteil von Nachtsichtgeräten, der reine Wahnsinn. Nichts war vorhersehbar, alles konnte schiefgehen.
Viele Grüße aus dem heißen Kenia , hatte auf der Rückseite der Postkarte gestanden. Wenn ich wieder zurück bin, sollten wir mal zusammen ein Gläschen trinken. Um der alten Zeiten willen. Dein Bruder Bernd. Auf der Vorderseite hatten sich zwei Nashörner miteinander vergnügt. So etwas passte wie die Faust aufs Auge zu Bernd, der schon immer ein langweiliger Biedermann gewesen war.
»Weiter rechts, verdammt noch mal!«, schimpfte die Stimme im Helmfunk. »Rechts, hab ich gesagt. Menschenskind, Drei-eins, was ist los?«
Clemens Vogel, dem Truppführer mit der Funkkennung Drei-eins, wurde plötzlich bewusst, dass er mehrmals aufgefordert worden war, den Kurs der Annäherung zu korrigieren. »Alles in Ordnung«, versicherte er und lenkte seine Schritte nach rechts. »Alles in Ordnung.«
Dabei war gar nichts in Ordnung, denn an diesem Tag spürte er etwas, das er noch niemals vor einem Einsatz gespürt hatte.
Panische Angst.
Kapitel 42
Noch 7 Minuten bis zur Stürmung von Flug SWX 714
Mara ignorierte Asads Gezeter und stieg die letzten Stufen der Gangway empor. Ihr Herz pochte gegen die Rippen, ihre Hand, die das Mobiltelefon hielt, war schwitzig. Erst als sie genau vor ihm stand, ließ sie den Sanikasten fallen. Sie hob den Kopf.
»Hallo, Hoheit. Haben Sie mich vermisst?«
Sie sprach so leise, dass er sie gerade noch verstehen konnte. Sie hoffte, dadurch bedrohlich zu wirken.
Der Verbrecher bohrte den Blick seiner gelben Augen in ihr Gesicht und erkannte sie wieder. Sein Hemd und die Hose waren mit Blut besudelt.
»Die Reporterin!«, rief er ungläubig aus. Die Überraschung ließ ihn einen Schritt zurücktaumeln, doch dann fing er sich wieder. Er stürmte auf sie zu. »Du dreckige Schlampe! Wegen dir wäre ich beinahe verreckt. Die Wunde in meinem Fuß hat sich entzündet, nachdem du mir das Messer …«
»Freut mich zu hören!«, fiel sie ihm ins Wort. Dabei machte sie eine Bewegung wie ein Torero, der den Angriff eines Stieres ins Leere laufen lässt.
Auch Asad lief ins Leere. Er prallte gegen die Kabinenwand.
»Omar befindet sich in meiner Gewalt«, schnappte sie. »Wenn du nicht sofort aufgibst und sämtliche Geiseln freilässt, werde ich dafür sorgen, dass man ihn umbringt, das schwöre ich!«
Er hielt inne, schien zu überlegen, doch nur für einen Sekundenbruchteil. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Hat Grillo dich geschickt? Hält der Affe mich für so dämlich, dass ich auf einen solchen Schwachsinn hereinfalle?«
Sie erwiderte sein selbstsicheres Grinsen. »Ob Grillo mich geschickt hat? Nein, ich bin aus freien Stücken hier. Weil du meine Begleiter getötet hast und meinen Hund. Da ist also noch eine Rechnung zwischen uns offen. Ergib dich, oder dein Bruder stirbt!«
Er lachte herablassend. »Du kleine Made. Ich habe vorhin mit meinem Bruder telefoniert. Er befindet sich bereits auf dem Weg hierher.« Der Lauf der Maschinenpistole zeigte plötzlich auf ihre Brust.
Ehe er abdrücken konnte, warf sie ihm das Handy zu, das er reflexartig auffing. Dabei entfiel ihm die Waffe, die er mit den verbliebenen zwei Fingern der Linken nicht halten konnte.
»Geh ran!«, forderte sie ihn auf. »Es ist dein Bruder. Und du hast natürlich recht: Er befindet sich
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