Sturms Flug
Abschiedsblick zu, der diesem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Verdammt, so sah kein Mann aus, der in Kürze ein Geständnis ablegen würde.
Damit stand Bodo Lohmanns Karriere vor dem Aus.
Kapitel 4
9 Tage vor der Entführung des Fluges SWX 714
Die Leuchtziffern des Reiseweckers zeigten 4 Uhr 49, als der Lärm losging.
Bernd brauchte fast zehn Sekunden, bis seine müden Sinne realisierten, wo er sich befand, und zehn weitere, um sich bewusst zu machen, dass der Krach das Klingeln des Zimmertelefons war, das neben seinem Bett auf dem Nachttisch stand. Verschlafen richtete er sich auf, was sofort heftiges Unbehagen auslöste.
Teufel, in seinem Darm rumorte es immer noch, während sein Schädel zu bersten schien. Er fragte sich, wer ihn um diese Uhrzeit anrief? Für die Dauer eines Herzschlages durchzuckte ihn die Vorstellung, ein Feuer könnte ausgebrochen sein und das Hotel in hellen Flammen stehen. Demnach alarmierte die Rezeption gerade die Gäste. Per Telefon? Unsinn!
Das Klingeln brach ab, um gleich darauf erneut einzusetzen.
Er wühlte sich durch den Moskitovorhang, der das gesamte Bett wie eine Zeltplane umgab, und griff nach dem Hörer, wobei fast der Apparat vom Nachttisch fiel, weil das Kabel kürzer war als erwartet.
»Hallo?«, meldete er sich unsicher. »Bernd Vogel.«
»Weiß ich doch«, kam es munter aus dem Hörer.
Einen Moment glaubte er, immer noch zu träumen, doch nach und nach erwachte sein Verstand. »Hanna?«, entfuhr es ihm.
»Wer sonst?«
Er rieb sich die Augen und schaute abermals auf den Wecker. »Es ist … zehn vor fünf«, stellte er fassungslos fest. Der Geschmack in seinem Mund erinnerte verdächtig an Spülwasser.
»Genau. Also geht’s in zehn Minuten los.« Sie stutzte. »Du hast verschlafen, stimmt’s?«
Seine Antwort war ein Stammeln, mehr brachte er nicht zustande.
Sie schlug einen geduldigen Tonfall an. »Wenn ich mich recht erinnere, hast du mich gestern gefragt, ob ich heute mit dir einen Ausflug in den Tsavo-Nationalpark unternehmen möchte, richtig?«
Er nickte unwillkürlich. »Und du hattest kein Interesse.«
Ihr Atmen war zu hören. »Wer sagt denn so was? Hast du meinen Zettel nicht gelesen?«
»Welchen Zettel?«
»Na den, den ich dir gestern Abend unter der Tür durchgeschoben habe. Vorher habe ich etliche Male geklopft, aber du warst nicht da. Also nahm ich an, dass du noch in der Stadt bist, mit der Bayerntruppe, von der du erzählt hast und die dich so gern bei ihrem nächtlichen Ausflug dabeihaben wollte. Deshalb der Zettel.«
Welche Truppe wollte mich dabeihaben? , wäre es ihm um ein Haar entfahren. Er schluckte den Satz im letzten Moment hinunter, als er sich daran erinnerte, was er Hanna am Tag zuvor aufgetischt hatte, um den Eindruck zu erwecken, ein Zeitgenosse zu sein, der immer und überall rasch Anschluss fand. Doch statt einen Ausflug mit irgendjemandem zu unternehmen, hatte er den halben Abend auf der Toilette verbracht und war anschließend ins Bett gefallen. Folglich hatte er recht lange geschlafen, doch der Schlaf war nicht erfrischend gewesen, sondern aufgewühlt von düsteren Gedanken und Albträumen. Schuld daran waren vermutlich die vielen im Tom Collins schwimmenden Elefanten-Wraps gewesen. Diese Mischung aus Gin und scharfen Gewürzen hatte für Aufruhr in seinen Eingeweiden gesorgt. Dabei hatte er beim ersten Anzeichen von Unwohlsein hundert Tropfen eines Medikaments zur Regulierung der Magen- und Darmmotorik eingenommen, das sich in seiner Reiseapotheke befand. Und obwohl dadurch die Übelkeit recht schnell verschwunden war, hatte er fortan wahnsinnige Kopfschmerzen verspürt sowie unendliche Mattheit. Er hatte daraufhin den Beipackzettel studiert und festgestellt, dass die empfohlene Dosis bei fünfundzwanzig Tropfen lag. Außerdem lautete ein Warnhinweis: Nicht zusammen mit Alkohol einnehmen! Als Nebenwirkung des Medikaments wurde an erster Stelle Müdigkeit genannt.
Kein Wunder, dass er ihr Klopfen nicht gehört hatte, die vierfach erhöhte Dosis hatte ihn regelrecht umgehauen.
»Einen Moment, bitte«, sagte er so enthusiastisch, wie es ihm in seinem Zustand möglich war.
Er legte den Hörer zur Seite und stand auf, langsam, was trotzdem zu einem flauen Gefühl im Magen führte. Der Geschmack in seinem Mund beschwor unweigerlich das Bild einer umarmten Toilette herauf, betrachtet aus zehn Zentimetern Entfernung mit dem Gesicht knapp über dem Schüsselrand. Er schwankte zum Lichtschalter, den er zunächst nicht
Weitere Kostenlose Bücher