Sturms Flug
wahrhaft anmutiges Geschöpf, das an ein Reh erinnerte, nur ein wenig größer und mit hellbraunem Fell. Das Tier flüchtete in Panik und hielt geradewegs auf den Jeep zu.
Ihm folgten die Menschenfresser, nicht einer, sondern gleich drei! Es waren Löwen, und an den fehlenden Mähnen war zu erkennen, dass es sich um Weibchen handelte.
Sie waren auf der Jagd, stellten der Antilope nach, und das hieß, dass auch sie auf den Jeep zuliefen.
Bernd spürte seinen Puls rasen. Hanna und er standen auf der Ladefläche des Wagens, die höchstens einen Meter über der Grasnarbe lag und von einer dreißig Zentimeter hohen Planke umgeben wurde, was eine Gesamthöhe von ein Meter dreißig ergab. Konnte ein Löwe diese Höhe im Sprung nehmen? Wenn ja, brachte ihn ein solcher Satz geradewegs in den Wagen! Oder er konnte die Ladefläche erklettern, denn wer es auf Bäume schaffte, für den war der Jeep eine Kleinigkeit.
Jonathan und der Ranger hatten es kaum besser. Sie saßen zwar vorne im Führerhaus, aber der Jeep hatte kein Dach, und die Seitenscheiben waren nach unten gelassen. Die Plane, mit der die Ladefläche und das Führerhaus abgedeckt werden konnten, war an der Planke festgezurrt. Doch auch wenn es anders gewesen wäre, bezweifelte Bernd, dass sie einen echten Schutz geboten hätte. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, in welcher Gefahr sie schwebten.
Die Löwinnen holten auf. Das Muskelspiel ihrer Flanken war beeindruckend und beängstigend zugleich.
Die Antilope hatte den Jeep fast erreicht, die Häscher dicht dahinter. Aus den Augenwinkeln sah Bernd, dass der Wildhüter das Gewehr in Anschlag gebracht hatte. Schweiß glänzte auf seiner Stirn.
Wenn Bernd richtig informiert war, dann handelte es sich bei Jagdbüchsen, wie der Wildhüter eine verwendete, um Einschüsser, was bedeutete, dass man nach jedem Schuss nachladen musste. Vor seinem geistigen Auge sah er bereits zwei der drei Löwinnen auf die Ladefläche springen. Nur wenn die Raubkatzen ihr Opfer einholten, bevor dieses den Jeep erreichte, würde seine Horrorvision nicht wahr werden. Vielleicht!
Die Impala schlug einen Haken, doch die Verfolger reagierten erstaunlich flink darauf.
Ja, lauft! , feuerte er die Jägerinnen in Gedanken an.
»Lauf!«, raunte Hanna neben ihm. »Du schaffst das!«
Offenbar galt ihre Sympathie der Antilope.
Im nächsten Moment machte die vordere der drei Jägerinnen einen erstaunlichen Satz, ihre Pranke raste auf die Impala zu und traf das fliehende Tier am Rücken. Es stieß einen verblüffend menschlich klingenden Laut aus, verlor das Gleichgewicht und überschlug sich in einer Staubwolke, kam aber sofort wieder auf die dünnen Beine und rannte in wildem Zickzack weiter, weg vom Jeep. Die Löwinnen folgten.
Bernd atmete auf.
Die Gejagte hatte derweil den Turbo eingeschaltet, denn ihr Vorsprung wuchs binnen weniger Lidschläge beträchtlich. Kurz darauf brachen die Löwinnen die Hatz ab und ließen sich im Gras nieder. Die Antilope entfernte sich erstaunlicherweise keine fünfzig Schritte von ihnen, bevor sie einfach stehen blieb. Sie blickte noch einmal zu ihren Verfolgern zurück mit herausgestreckter Zunge, wie es schien, und fing dann zu grasen an.
Hanna wollte jubeln, doch der Wildhüter bedeutete ihr mit einer Geste, sich nicht zu rühren. Ganz leise erklärte er, dass die Gefahr noch nicht gebannt sei, auch wenn die Maneater nun in einiger Entfernung vom Jeep in der Savanne lagen.
»Nicht bewegen!«, mahnte er eindringlich. »Nicht bewegen!«
Die Löwen schauten gähnend zum Jeep hinüber. Und in spätestens einer halben Stunde würde die Sonne untergehen.
»Was machen wir, wenn wir wieder zu Hause sind?«, wiederholte Bernd die Frage, die er bereits im Jeep gestellt hatte, ohne dass er eine befriedigende Antwort erhalten hatte. »Ich meine, werden wir uns wiedersehen? Ich … ich würde mich jedenfalls freuen.« Grundgütiger, klang das lahm! Und viel zu unverbindlich. »Sehr freuen sogar.«
Es war inzwischen weit nach Mitternacht, und sie saßen im Hotelgarten auf einer Bank, gleich unter einem Rosenbogen. Die Cocktailgläser in ihren Händen waren leer getrunken, da die Bar vor einer halben Stunde zugemacht hatte. Der Duft der Blüten versüßte die Nacht, während am Firmament Millionen von Lichtern funkelten – die perfekte Kulisse für große Gefühle.
Vorhin hatten sie noch einmal den vergangenen Tag Revue passieren lassen und waren sich einig gewesen, niemals zuvor etwas Vergleichbares erlebt zu haben.
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