Sturms Flug
Anne. »Nein, das habe ich noch nicht überprüft. Werde das sofort erledigen, wenn unser Gespräch beendet ist.« Sie räusperte sich. »Wie sieht’s aus? Hast du Lust, zum Flughafen zu fahren, um vor Ort nachzuschauen? Unser Hobbyfotograf gibt vor, alles im Kasten zu haben, und will uns die Bilder verkaufen. Wenn es stimmt, was er behauptet, könnten wir sie in der Montagsausgabe bringen.«
»Wenn es stimmt, was er behauptet, möchte ich nicht mit den armen Schweinen in dem betreffenden Flieger tauschen«, versetzte Mara.
Sie dachte an Bernd, der an diesem Tag aus Kenia zurückkehren wollte, und obwohl sie nicht wirklich an eine Flugzeugentführung glaubte, war sie auf einmal nervös. Sie versuchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass es schon mit dem Teufel zugehen müsste, wenn ausgerechnet der Flieger, in dem Bernd saß …
»Äh … du hast natürlich recht«, hörte sie Anne sagen. »Ich wollte nicht herzlos klingen.«
Sie nahm den Ibrik vom Herd und schüttete den herrlich duftenden Mokka in den Ausguss. »Dann werde ich mich mal auf die Socken machen.«
»Prima. Warte, ich gebe dir noch die Handynummer unseres Hobbyfotografen. Am besten setzt du dich direkt mit ihm in Verbindung, sobald du am Flughafen eintriffst. Hast du etwas zu schreiben?«
Sie bejahte und schnappte sich den Block und den Bleistift, die immer neben der Mikrowelle lagen und eigentlich für Einkaufslisten bestimmt waren. Sie schrieb die Nummer auf, die Anne ihr diktierte, riss das Blatt an der perforierten Linie heraus und gab der Freundin im Gegenzug ihre neue Handynummer.
»Wann kannst du vor Ort sein, Liebes?«, wollte die Redakteurin wissen.
Mara zögerte, trat an das Küchenfenster, schaute hinaus. »Die Straßen sehen halbwegs trocken aus, also werde ich mich in meine Thermounterwäsche packen und den Wanderfalken nehmen. Damit schaffe ich es in einer halben Stunde.«
Der »Wanderfalke« war ihr Motorrad und zugleich ihre Leidenschaft, eine Suzuki MAB -Hayabusa Turbo, die sie von Jo zum fünfunddreißigsten Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Hayabusa war das japanische Wort für Wanderfalke, und dieses Tier galt als das schnellste der Welt. Folgerichtig war die MAB -Hayabusa Turbo der Wanderfalke unter den Motorrädern, ein schnelleres in Serie produziertes Gefährt mit Straßenzulassung gab es nicht.
»Ich werde mich sofort in die Redaktion begeben«, sagte Anne, »und dort auf deinen Anruf warten.«
Mara versprach, sich zu beeilen. So schnell es ging, tauschte sie den Nickianzug gegen ihre Goretex-Kombi und die Biene-Maja-Puschen gegen schwere Schnallenstiefel.
Als sie die Treppe hinunterpolterte, rief sie sich die Nummer des Fluges in Erinnerung, mit dem Bernd an diesem Tag aus Kenia zurückkehren wollte: SWX 714, geplante Ankunftszeit 9 Uhr 15.
Das herauszufinden hatte ihr keine Mühe bereitet, da es samstags lediglich eine einzige Verbindung von Mombasa nach Köln gab, während man die entsprechenden Informationen auf der Internetseite des Flughafens abrufen konnte.
Und genau das hatte sie getan, weil sie tatsächlich mit dem Gedanken gespielt hatte, Bernd am Gate zu empfangen. Wieso es letzten Endes bei dem bloßen Vorsatz geblieben war, wusste sie nicht.
Gerade, als sie ihren Helm anziehen wollte, lärmte das neue Mobiltelefon in der Jackentasche. Herrgott, der werksseitig eingestellte Klingelton war abscheulich.
»Ja?«
Wieder meldete sich Anne. »Mara, gut, dass ich dich noch erwische!« Ihre Stimme klang aufgeregt, und es hatte den Anschein, als könne sie sich nur mit Mühe beherrschen.
»Was ist passiert?«, wollte Mara wissen.
»Ich habe gerade ein wenig im Internet geforscht, um herauszufinden, ob die Cockpitscheiben von Jumbojets tatsächlich von außen verspiegelt sind. Doch dann kam mir etwas anderes in den Sinn, weshalb ich die Seite des Flughafens aufgerufen habe.«
Die habe ich heute Morgen auch schon besucht , hätte Mara um ein Haar gesagt. »Und was hast du dort entdeckt?«, fragte sie stattdessen.
»Etwas äußerst Merkwürdiges: In der Übersicht, in der die Starts aufgelistet sind, steht hinter jedem, aber auch wirklich jedem Flug die Bemerkung annulliert . Kommentarlos, ohne Erklärung. Und bei den Ankünften verhält es sich ähnlich mysteriös, dort heißt es überall umgeleitet nach Düsseldorf … nach Frankfurt … nach Dortmund oder weiß der Geier wohin. Seit etwa halb zehn ist kein Flieger mehr in Köln gelandet, obwohl sie um diese Uhrzeit für gewöhnlich alle paar
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