Sturms Flug
und noch nicht in den Geschirrspüler geräumt hatte, fand sie den Ibrik , ein langstieliges Kesselchen mit Messingbeschichtung, das eigens für die Zubereitung von Mokka bestimmt war. Das Mokkapulver und den Ibrik hatte sie bei Ali gekauft, wie der Türke um die Ecke von allen genannt wurde, obwohl der in Wirklichkeit Sinan hieß. Ali beziehungsweise Sinan war es auch gewesen, der ihr die Kniffe bei der Zubereitung verraten hatte.
Sie gab Mokkapulver, Wasser und Zucker in den Ibrik und beobachtete, wie der Sud aufkochte. Später würde sie noch eine Prise Zimt hinzugeben, um den Geschmack zu verfeinern.
»Die Kunst besteht darin«, hatte Ali ihr damals erklärt, »den Topf erst im allerletzten Moment vom Herd zu nehmen, eine halbe Sekunde, bevor alles überkocht. Lässt man den Topf zu lange auf dem Herd, brennt der Kaffee an, und es gibt überdies eine Riesensauerei. Nimmt man ihn zu früh runter, bildet sich nicht genug Schaum, doch genau der macht den einzigartigen Geschmack aus. Diesen Vorgang wiederholt man drei Mal.«
Das Klingeln des Telefons holte sie in die Gegenwart zurück. So schnell, wie es die Biene-Maja-Pantoffeln zuließen, sprintete sie ins Wohnzimmer, schnappte sich das schnurlose Gerät und eilte damit zurück in die Küche, um weiterhin das Kochen des Mokkas zu überwachen.
»Hallo?«, meldete sie sich.
Annes Stimme tönte aus dem Telefon. »Wie geht’s dir, Liebes?«
»Gut.«
»Wirklich?«
»Nein. Ich habe mich vorhin mit meinem Bruder gezofft. Außerdem gehen mir eine Million Dinge durch den Kopf, und das macht mich verrückt.«
Während sie das Telefon mit der einen Hand hielt, nahm sie mit der anderen den Topf vom Herd. Für einen Sekundenbruchteil sah es so aus, als würde der tiefbraune Inhalt über den Rand schwappen, doch dann fiel die schaumige Pracht in sich zusammen. Ha, genau den richtigen Zeitpunkt erwischt!
»Das Grübeln bringt mich noch um den Verstand«, gab sie zu. »Also bin ich krampfhaft auf der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung. Im Moment besteht diese aus Kaffeekochen, wenn ich damit fertig bin, aus Kaffeetrinken und danach … Keine Ahnung. Ich hätte nie gedacht, dass mir meine Arbeit jemals so sehr fehlen würde.«
Anne bemühte sich um einen fröhlichen Tonfall. »Na, wenn es weiter nichts ist als Langeweile, kann ich vielleicht Abhilfe schaffen. Wie sieht’s aus, möchtest du wieder als rasende Reporterin aktiv werden? Falls ja, musst du allerdings sofort loslegen.«
»Klingt interessant.« Noch vor wenigen Minuten hatte sie sich vorgenommen, nie wieder das Haus zu verlassen. »Worum geht’s?«
»Um eine Flugzeugentführung, die angeblich hier bei uns in Köln stattfindet, genau in diesem Moment.«
»Was?« Wieder drohte der Mokka überzukochen, doch auch diesmal gelang es ihr haargenau, den richtigen Zeitpunkt abzupassen und den Ibrik vom Herd zu nehmen. »Leide ich unter Halluzinationen, oder hast du gerade tatsächlich Flugzeugentführung gesagt?«
»Nein, du hast keine Halluzinationen. Vor nicht ganz einer halben Stunde rief irgendein Wichtigtuer in der Redaktion an, der behauptete, mich unbedingt sprechen zu müssen und etwas von einer sensationellen Story faselte, die er ausschließlich mir anvertrauen könne. Er war derart hartnäckig und wohl auch überzeugend, dass mich der Redakteur vom Dienst zu Hause angerufen hat.«
»Und?«, fragte Mara neugierig. »Hast du Kontakt mit diesem geheimnisvollen Informanten aufgenommen?«
»Klar, ich habe auf der Stelle die Nummer angerufen, die er in der Redaktion hinterlassen hat. Es ist eine Handynummer, und der Besitzer dieses Handys behauptet, Hobbyfotograf zu sein und am Flughafen auf der Aussichtsplattform zu stehen. Von dort aus, so sagte er, wollte er ein paar Bilder von Starts und Landungen schießen. Und jetzt wird’s interessant: Angeblich will er dabei mit seinem Teleobjektiv auf das Cockpitfenster einer gelandeten Maschine gezoomt haben und sah im Cockpit einen Mann mit Schusswaffe, der den Piloten bedrohte. Kurz darauf hätte sich sämtliches Bodenpersonal fluchtartig von der Maschine zurückgezogen.«
Mara stellte den Ibrik zum dritten und letzten Mal auf die Herdplatte. »Ich denke, der hat zu viele schlechte Filme gesehen. Hast du schon recherchiert, ob man von außen überhaupt durch so ein Cockpitfenster hindurchgucken kann? Ich meine nämlich irgendwo gelesen zu haben, dass die Dinger aus Spiegelglas bestehen und von außen undurchsichtig sind.«
»Guter Ansatz«, lobte
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