Sturms Jagd
herum, und der lockere Zopf wurde zur kastanienbraunen Mähne, die im Sonnenlicht wie flüssiges Feuer aussah und bis zu einer schwungvollen Hüfte hinabfloss.
»Ah, endlich frische Luft!«, frohlockte sie.
Ihre Haarspitzen und ihre Stirn glänzten feucht, denn sie hatte unter dem Helm geschwitzt. Mit flinken Fingern bemühte sie sich, die Haarpracht zu zähmen, zumindest so gut, wie das ohne Kamm und Bürste möglich war.
Der Portier staunte derweil mit offenem Mund. Er fühlte sich unwillkürlich in einen Hollywood-Streifen versetzt, und zwar in die Rolle des Einsiedlers, der gerade beobachtete, wie eine Nixe aus dem Meer stieg.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte die Nixe Mara mit einem Lächeln, das mindestens genauso samten war wie der Teppich, auf dem sie stand. »Ich bin hier mit meinem Bruder verabredet, er ist Gast in Ihrem Hause.« Ob das stimmte, wusste sie nicht, denn sie hatte keine Ahnung, ob Jo tatsächlich im Sheraton abgestiegen war oder ob er diesen Treffpunkt aus einem anderen Grund gewählt hatte. »Es wird nicht lange dauern, schätze ich. Bin vermutlich in einer halben Stunde schon wieder weg.« Sie zog die rechte Braue hoch. »Was meinen Sie, könnten Sie bis dahin einen Blick auf mein Motorrad werfen? Es ein wenig im Auge behalten?«
Ein genuscheltes »Ähm« war alles, worauf sich der Portier einließ. Er hatte einen gigantischen grauen Schnurrbart mit nach unten zeigenden Spitzen. Dadurch wirkte er wie die Karikatur eines traurigen Walrosses.
Mara ließ dem Mann keine Zeit, seine Gedanken zu ordnen. »Die Maschine liegt mir sehr am Herzen«, fuhr sie im Verschwörerton fort. »Leider wurde sie in der Vergangenheit schon zweimal mutwillig beschädigt. Das war jedes Mal ein Theater, kann ich Ihnen sagen, bis die Kasko den Schaden ersetzt hat. Papierkram, Telefonate, verknöcherte Sachbearbeiter. Typisch Kfz-Versicherung. Aber wem sage ich das, Sie kennen sich mit solchen Dingen vermutlich viel besser aus als ich.«
Der Portier nickte bestätigend. Er besaß weder Motorrad noch Auto, sondern fuhr täglich mit der S-Bahn zur Arbeit. Von einer Kasko hatte er lediglich eine vage Vorstellung. »Ja, so was ist immer ärgerlich …«
Sie fasste sich an die Stirn. »Ach du liebe Zeit, das fällt mir ja jetzt erst auf, ich versperre den Weg mit meinem Feuerstuhl, da kommt ja kein Mensch mehr durch.« Sie öffnete den Reißverschluss ihrer Lederjacke. »Frauen und Autos sind schon schlimm genug, was? Aber Frauen und Motorräder … Einen Moment, ich fahre sofort weg.« Sie zwinkerte dem Portier zu, machte auf dem Absatz kehrt.
Wie erwartet, schaffte sie keine drei Schritte, ehe er sie stoppte.
»Ach was!«, kam es unter dem Hängeschnurrbart hervor. »Sie haben so nahe am Rand geparkt, da käme sogar ein Bus vorbei.« Er lachte, und sie lachte mit ihm. Die Enden seines Schnäuzers schienen sich aufgerichtet zu haben und zeigten plötzlich nach Norden.
Ihr Tonfall verriet liebenswürdige Vernunft. »Na, wenn Sie meinen … Aber nicht, dass ich Sie in Schwierigkeiten bringe.«
Der Portier winkte großzügig ab.
Mara lächelte. »Sie sind sehr freundlich.«
In diesem Moment trat ein älteres Ehepaar aus dem Gebäude ins Freie. Die Dame war mit Gold und Perlen behängt und zog eine Parfümwolke hinter sich her, der Herr trug ein schwarzes Sportsakko, dazu das passende Halstuch. Ein Page, der sich mit zwei enormen Schrankkoffern abmühte, folgte den beiden.
»Ah, Herr und Frau von Allenstein!«, grüßte der Portier jovial. »Wie schade, dass Sie uns schon wieder verlassen.«
»In der Tat«, gab die Frau zurück. Sie musterte Mara von oben bis unten, erachtete sie für nicht würdig, noch einen weiteren Blick an sie zu verschwenden, und drehte demonstrativ den Kopf zur Seite.
Du hast eine Laufmasche in der Strumpfhose , dachte Mara.
»Da kommt auch schon André mit Ihrem Auto«, bemerkte der Portier.
Eine blitzsaubere dunkelgrüne Limousine rauschte heran und hielt genau neben dem Wanderfalken. Platz war genug vorhanden. Ein junger Mann, vermutlich jener André, sprang aus dem Wagen, riss die Beifahrertür auf und drückte Herrn von Allenstein die Schlüssel in die Hand. Dann zückte er ein Poliertuch, um geschwind noch ein unsichtbares Stäubchen zu entfernen, das sich offenbar auf einem Chromteil niedergelassen hatte.
Derweil hatte der Page einige Mühe, die beiden riesigen Gepäckstücke im Kofferraum zu verstauen. Der Portier – nun wieder mit hängendem Schnurrbart – wurde nicht
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