Sturms Jagd
Wanderfalken fliegen.
Kapitel 22
Victor Smertins Büro befand sich im dritten Stock des Hauptgebäudes seiner Firma.
Es war kühl, fast kalt, denn es verfügte über eine Klimaanlage, die auf Hochtouren lief, und das Mobiliar, eine Orgie aus Edelstahl und Glas, passte zur Raumtemperatur. Nichtsdestotrotz konnte man die Ausstattung als luxuriös bezeichnen. Da waren ein Schreibtisch mit polierter Glasplatte, auf dem ein Designer-Telefon, ein Computer und ein goldener Füller in ebenfalls goldener Halterung standen, sowie vier cremefarbene Barhocker, die sich um einen runden Stehtisch gruppierten.
Drei Wände waren im Loft-Stil gehalten, nackt und unverputzt, während die vierte von einer Fensterfront beherrscht wurde, die vom Fußboden bis zur vier Meter hohen Decke reichte und auf den Parkplatz hinauszeigte. Von innen war das Glas getönt, von außen konnte man nicht hindurchsehen, da es von dort wie ein Spiegel wirkte. Akten, Papiere oder typische Büroutensilien waren nirgends zu entdecken.
Im Raum befanden sich vier Männer, die allesamt vor der Fensterfront standen und auf den unter ihnen liegenden Parkplatz starrten. Dort hatten sie soeben etwas entdeckt, das jedem von ihnen einen Kloß im Hals bescherte, auch wenn keiner seine Ängste zugab.
» Dermo! «, fluchte Smertin. Er war einer der vier Anwesenden.
Das darf doch nicht wahr sein! , durchfuhr es den Narbigen. Unmöglich, absolut unmöglich! Er war der zweite Mann im Bunde, und direkt neben ihm stand einer seiner Leute, den er als Begleitschutz mitgebracht hatte.
Noch vor wenigen Stunden hatten die beiden in der Suite eines Nobelhotels gesessen und auf die Ankunft eines Mannes gewartet, eines stinkreichen US-Amerikaners, mit dem der Narbige einen lukrativen Handel abschließen wollte. Doch dann hatte sein Handy gedudelt.
Der Anrufer war Victor Smertin gewesen. »Du musst herkommen«, hatte der Russe ohne Umschweife gefordert. »Es ist etwas Unerwartetes passiert.«
»Was?«
»Etwas, über das man nicht am Telefon spricht.«
Der Narbige hatte erklärt, dass er trotzdem unabkömmlich sei, da er kurz vor dem Abschluss eines einträglichen Geschäfts stehe, doch Smertin hatte darauf bestanden, sich sofort mit ihm zu treffen. »Sofort! Sofort! Sofort!« Dann hatte er so lange lamentiert und Panik verbreitet, bis es dem Narbigen zu bunt geworden war.
»Hast du eine Ahnung, wo ich mich gerade aufhalte?«, fragte er.
» Njet , ich bin kein Hellseher.«
Der Narbige sagte es ihm und fügte hinzu, es würde ihn ein Vermögen kosten, wenn ihm das Geschäft mit dem Ami platzte, ganz zu schweigen von dem horrenden Preis für das Flugzeug, das er chartern musste, um in absehbarer Zeit nach Köln zurückzukommen.
Smertin wiegelte ab. »Was kann das für ein Deal sein, der wichtiger ist als unser Geschäft? Sei nicht so kleinkariert, Towarisch . Morgen verdienen wir vierhundert Millionen! Dann kannst du dir ein eigenes Flugzeug kaufen. Allerdings nur, wenn du dich jetzt auf der Stelle in Bewegung setzt.«
Schließlich hatte der Narbige eingelenkt und die logistische Meisterleistung vollbracht, innerhalb von dreißig Minuten einen Learjet für den Rückflug aufzutreiben. Das zeigte wieder einmal, wie wertvoll er als Organisator war, wenngleich er in diesem Fall unverschämtes Glück hatte und obendrein seine Kontakte bis zum Äußersten strapazieren musste. In Köln angekommen, wurden die Probleme aus der Welt geschafft, um die Smertin solches Aufheben veranstaltet hatte. Dass es sich bei diesen Problemen in Wirklichkeit um bloße Lappalien handelte, zeigte, wie nervös der Russe war. Er glich einem Sprengsatz, der kurz vor der Explosion stand.
Doch dann, vor einer halben Minute, war etwas geschehen, das ihm einen echten Grund lieferte, sich aufzuregen. Es war etwas Unerwartetes, etwas Gefährliches, Alarmierendes.
»Eine Polizistin?« Doktor Stalins Frage riss den Narbigen aus seinen Gedanken. Der einäugige Mann war der vierte Anwesende, und genau wie die drei anderen starrte er aus dem Fenster und beobachtete eine langhaarige Frau in Begleitung eines Milchbubis. Die beiden gingen auf ein geparktes Motorrad zu. »Sie sieht nicht aus, als wäre sie bei der Miliz. Bist du dir sicher?«
Smertin wurde augenblicklich ungehalten. »Hältst du mich für einen Schwätzer? Natürlich bin ich mir sicher! Ich kenne sie, ist ja nicht gerade unauffällig, das Weib. Als die Miliz vor einem Jahr mein Haus und meine Firma durchsucht hat«, er hob theatralisch die
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