Sturms Jagd
Hände und ballte sie zu Fäusten, bis die Fingerknöchel weiß hervortraten, »als diese gottverdammten Bullen mit ihrer gottverdammten Razzia mein Heim verwüstet haben, da war die Schlampe auch dabei. Kein Zweifel.« Er schnaubte verächtlich. »Es gibt nicht viele weibliche Bullen, die mit dem Motorrad zu einer Razzia fahren. Sie ist mir schon damals aufgefallen, auch wenn sie offenbar nicht viel zu sagen hatte.«
Wieder atmete er geräuschvoll aus, dann wandte er sich an den Narbigen. »Du hast doch Verbindungen zur Miliz. Kennst du sie?«
Der Angesprochene blieb die Antwort schuldig. »Ich frage mich, was sie hier zu suchen hat?«, murmelte er stattdessen. Seine Miene blieb ausdruckslos, doch hinter der Maskerade verbarg sich große Sorge. Die Anwesenheit einer Polizistin hatte nichts Gutes zu bedeuten, ganz besonders nicht so kurz vor der Stunde null. Folgte sie einer Spur oder war ihr Auftauchen reiner Zufall? Was konnte sie hier wollen? Ein Stück abgehangenes Fleisch für den Sonntagsbraten besorgen? Wohl kaum.
»Kennst du sie?«, wiederholte Smertin.
Der Narbige schüttelte den Kopf.
Schweigend beobachteten sie, wie die vermeintliche Polizistin und der Milchbubi auf das Motorrad stiegen.
»Was ist mit diesem Fatzke, der da schwanzwedelnd hinter ihr herläuft?«, erkundigte sich der Doktor nach einer Weile. »Ist der etwa auch bei der Miliz?«
»Woher soll ich das wissen?«, polterte Smertin. Seine polierte Glatze und sein sonnenbebrilltes Gesicht spiegelten sich in den Fensterscheiben wider. »Keine Ahnung, wer das ist. Vielleicht leckt er ihr die Pussy.«
Doktor Stalin fluchte, dann brachte er einen neuen Aspekt in die fruchtlose Debatte ein. »Kann es sein, dass irgendjemand den Mund aufgemacht hat? Dass einer mit den Millionen geprahlt hat, die wir morgen abkassieren? Einer der Jungs? Sind diese beiden Vögel deshalb hier? Sind sie gekommen, weil sie einem Gerücht hinterherlaufen?«
»Sollte das stimmen, und ich finde heraus, wer gesungen hat …« Smertin ließ unausgesprochen, was er mit dem mutmaßlichen Verräter anstellen würde. Im Hinterkopf hatte er bereits einen Verdacht. »Wo ist Gigolo?«, bellte er.
Stalin zuckte mit den Achseln. Er hatte keine Ahnung, wo der Schönling steckte, und vor allem wusste er nicht, wieso es ausgerechnet jetzt von Interesse sein sollte, wo er sich herumtrieb. Er warf Smertin einen zweifelnden Blick zu. »Vielleicht ist es besser, wenn wir die ganze Aktion abblasen? Oder zumindest verschieben?«
»Nichts da, wohl verrückt geworden, was? Hier wird überhaupt nichts verschoben und erst recht nichts abgeblasen. Operation Schneesturm findet statt wie geplant.« Smertin wandte sich wieder dem Narbigen zu, ein herausforderndes Lächeln auf den Lippen. »Wir lassen uns doch von einem Weibsbild keine Angst einjagen, hab ich recht, Sukin Sin ?« Es amüsierte ihn, den Narbigen auf Russisch zu beleidigen. »Seht sie euch an, wahrscheinlich kommt sie sich stark vor mit ihren Stiefeln und dem Motorrad, aber uns kann sie damit nicht beeindrucken. Stimmt doch, Towarisch, oder? Die Pisda, die mir meine Geschäfte kaputt macht, ist noch nicht geboren. Und überhaupt, Weiber bei der Miliz, dass ich nicht lache.« Er kicherte gehässig. »Kein Wunder, dass ihr den Krieg verloren habt, wenn ihr Weiber die Arbeit von Männern machen lasst.«
Der Narbige ging nicht auf die Provokation ein, sondern starrte stur nach draußen. Dort ließ die Frau gerade den Motor ihrer Maschine an. Der Narbige spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufrichteten, und er hatte keine Ahnung, ob dafür die Klimaanlage verantwortlich war, die aus dem Büro einen Gefrierschrank machte, oder ob es die Vorstellung war, von dieser Frau ins Gefängnis gebracht zu werden. Oder war es der Hass auf Victor Smertin, der ihn frösteln ließ? Ein Glück, dachte er, dass morgen um diese Uhrzeit bereits alles vorbei sein würde. Dann war er diesen Widerling für immer los.
»Was macht dieses Mistweib da?«, brüllte Smertin plötzlich. »Was tut diese verdammte Schlampe?«
»Sie demoliert deinen Mercedes«, sagte der Narbige.
» Dermo , das ist ein 32-Schicht-Effektlack.« Seine Fäuste donnerten gegen die Scheibe. »Hör auf damit! Lass das gefälligst sein!« Er rannte zum Telefon, brüllte etwas auf Russisch hinein, schleuderte es von sich, stürmte wieder zum Fenster.
Sein gefürchteter Jähzorn war erwacht, das Nitro und das Glyzerin in seiner Blutbahn hatten sich wieder einmal miteinander vermischt.
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