Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
Vom Netzwerk:
erschrak. Das Haarband ihrer Mutter war verschwunden! Trauer überfiel sie, dann dachte sie wieder an ihren Traum.
    Dort hatte ihre Mutter ihr Herz gegeben, aber in Wirklichkeit hatten die Wellen ihr Haarband als Pfand für Annekes Leben genommen.
    *
    Nachdem sie Hinrichs Proviant verspeist hatte, strebte Anneke der Stadt zu. Das Brot, der Wurstzipfel und der halbe Apfel waren nicht viel gewesen, doch ihr Magen knurrte nun nicht mehr so böse.
    Ihre Gliedmaßen waren noch immer zittrig, doch ihr Wille, ihren Liebsten zu finden und ihren Vater wiederzutreffen, trieben sie voran.
    Auf dem Weg den Strand entlang hielt sie allerdings vergeblich Ausschau nach Ingmar. Natürlich war es nur ein kleines Stück Küste, das sie abschritt, Ingmar konnte auch an einer anderen Stelle angespült worden sein. Ihr Herz hielt daran fest, dass er hier irgendwo war – vielleicht sogar ganz in der Nähe. Vielleicht suchte er gerade nach ihr. Diese Hoffnung wollte sie sich nicht nehmen lassen.
    Obgleich die Stralsunder Stadtmauer dem Ansturm der Kaiserlichen standgehalten hatte, waren die Spuren der Belagerung nicht zu übersehen. Zahlreiche Einschüsse und Brandflecken verunzierten die Steine. Und auch innerhalb der Mauern waren die Verheerungen beträchtlich. Einige Gebäude mussten unter dem Beschuss in Brand geraten sein, denn in den ehemals dicht gedrängten Hausreihen klafften Löcher.
    Viele Häuser, die noch standen, waren beschädigt, bei einigen hatte man Türen und Fenster vernagelt, weil die Besitzer geflohen oder umgekommen waren.
    Anneke dachte erschauernd an den Rattenkönig in der Kontorsscheune und Nettels Prophezeiung zurück. Würde die Pest dem Krieg folgen? War sie bereits hier und forderte die ersten Opfer?
    Auf ihrem Weg durch die Stadt merkte sie noch nichts davon. Schweine und Hunde kreuzten ihren Weg, ein paar Reiter in schwedischer Uniform kamen ihr entgegen und das laute Geschrei einer Frau, die mit einem Mann stritt, hallte durch die Gasse. Ein paar abgerissene Gestalten begegneten ihr, von denen man nicht sagen konnte, ob Hunger oder Krankheit sie so ausgemergelt hatten.
    Annekes Beklommenheit wuchs. Auch sie sah sicher sehr mitgenommen aus. Das Kleid war inzwischen ein wenig getrocknet, hing aber immer noch klamm an ihrem Körper. Außerdem erschien ihr Stralsund auf einmal fremd. Aber vielleicht gab sich das, wenn sie erst einmal auf Menschen traf, die sie kannte und mochte.
    Während sie über den Alten Markt eilte, rang Anneke mit sich, ob sie zuerst zum Kontor gehen sollte oder zu Marte.
    Seltsamerweise trugen sie ihre Füße beinahe von allein zu einem anderen Ort.
    Die kleine Hütte, in der sie einst mit ihrer Mutter gewohnt hatte, stand noch immer und es hatten sich offenbar keine neuen Bewohner eingenistet. Schindeln waren vom Dach heruntergefallen und ein Fensterladen hing schief. Die Rose hatte sich von der Leiter gelöst und wucherte in den Garten hinein.
    Anneke stand von den unterschiedlichsten Empfindungen übermannt davor. Sie erinnerte sich an ihre Mutter, an ihre Kinderzeit und den Tag, als ihre heile Welt auseinanderbrach. Sie erinnerte sich an die Sehnsucht, die sie besonders zu Nachtzeiten nach diesem Haus gehabt hatte. Nun stand sie wieder davor, doch sie war nicht mehr dieselbe wie damals.
    Inzwischen fühlte sie sich nicht mehr als Mädchen, sie war eine junge Frau geworden, die schon etwas von der Welt gesehen hatte. Und die Liebe erfahren hatte.
    »Anneke?«, fragte eine Stimme hinter ihr. Als sie sich umwandte, erblickte sie Magda Fehrmann. Sie wirkte dünner, als sie sie in Erinnerung gehabt hatte. Die Belagerung hatte auch an ihr gezehrt.
    »Die bin ich«, antwortete das Mädchen lächelnd. »Guten Abend, Magda.«
    Die Frau kniff die Augen zusammen, als sähe sie einen Geist vor sich. »Kind, dich erkennt man nicht wieder!«
    Magda schloss sie in ihre Arme, eine Geste, mit der Anneke nicht gerechnet hatte.
    »Ich habe nach dir Ausschau gehalten, in der Hoffnung, dass du mir irgendwann in der Stadt über den Weg läufst. Es waren schlimme Zeiten und es verging kein Tag, an dem ich nicht an dich denken musste. Als ich nach dir fragte, sagte man mir, dass du nach Schweden gereist bist.«
    »Das ist richtig. Mein Vater hat mich zu Verwandten geschickt.« Was wirklich in Stockholm geschehen war, brauchte die Nachbarin nicht zu wissen. »Ich bin eben angekommen und wollte nur mal nach der Hütte schauen, bevor ich zum Kontor gehe.«
    Magdas Gesicht verfinsterte sich augenblicklich.

Weitere Kostenlose Bücher