Sturmsegel
den Strohsack, der im Bettgestell lag. Sie wusste nicht, was ihr Vater seiner Schwester geschrieben hatte, aber ganz sicher stand in dem Brief nicht, dass Frieda sie wie eine Magd behandeln sollte.
Doch ihr Vater war weit weg von Stockholm.
»Richte dich ein und komm dann in die Kleiderkammer, da werde ich dir ein neues Gewand geben.«
Der Akzent der Magd war ziemlich stark. Es war ihr anzumerken, dass sie nur ungern deutsch sprach. Auf Wunsch ihrer Herrin musste sie es aber wohl tun.
Anneke nickte, worauf die Magd die Kammer verließ.
Das Mädchen ließ sich auf das Bett sinken. Man war auf ihr Kommen nicht vorbereitet gewesen, deshalb war die Strohmatratze nicht bezogen. Auch Bettzeug gab es keines. Nach dem Empfang, den ihr Frieda Bollerstrue bereitet hatte, hielt sie es für möglich, dass sie auf solche Annehmlichkeiten gar nicht zählen könnte.
Aber vielleicht war die Frau des Hauses nur so ungehalten, weil sie Ärger mit dem Hochzeitskleid hatte. Das Mädchen, das man angekleidet hatte, war gewiss ihre Tochter.
Anneke erhob sich und entledigte sich ihrer Männerkleidung. Kurz überlegte sie, ob sie das Kleid mit der Schnürbrust anziehen sollte, aber dazu brauchte sie jemanden, der ihr hineinhalf.
Greta hatte nicht gewirkt, als würde sie sich darüber freuen, ihr zur Hand zu gehen. Sie entschied sich also für ihr einfaches Kleid und flocht die Haare zu einem Zopf.
Wo die Kleiderkammer war, wusste sie nicht, also strebte sie wieder dem Raum zu, in dem das Mädchen das Hochzeitskleid anprobierte.
Inzwischen hatte die Schneiderin ihre Arbeit beendet. Ihre beiden Gehilfinnen trugen die Körbe mit den Stoffen und Nähutensilien gerade aus dem Raum. Frieda Bollerstrue schwatzte noch kurz mit der Schneiderin. Die zukünftige Braut stand hinter ihr und starrte hochnäsig in die Gegend.
Erst, als sich die Schneiderin zum Gehen wandte, fiel Friedas Blick auf ihre Nichte.
»Das nennst du ein ordentliches Kleid?«, fuhr Frieda Anneke an und das Mädchen im Hintergrund setzte ein spöttisches Lächeln auf. Man konnte ihr ansehen, dass sie wusste, wer Anneke war. Offenbar hatte ihre Mutter ihr mit der Geschichte und ein paar bissigen Kommentaren die Anprobe versüßt.
»Das ist eines der Kleider, die ich mitgebracht habe«, antwortete Anneke, während sie das Kinn in die Höhe reckte. »Greta sagte, ich solle in die Kleiderkammer kommen, aber sie hat nicht gesagt, wo sich diese befindet.«
»Glaubst du denn, ich bin dazu da, dir den Weg in diesem Haus zu weisen?«, schnauzte Frieda. »Geh mit deinen Sorgen zur Magd! Und komm mir heute am besten nicht mehr in die Quere, ich habe viel zu tun!«
Damit rauschten beide an ihr vorbei. Die junge Braut wandte sich noch einmal grinsend um und schnitt ihr eine Grimasse.
Und so jemand wollte demnächst eine Ehefrau werden!
Anneke wusste zwar nicht, welcher Mann dieses unsympathische Geschöpf bekommen sollte, aber er tat ihr jetzt schon leid.
Da ihre Tante ihr nicht helfen wollte, machte sie sich wohl oder übel auf die Suche nach der Magd. Sie fand sie auf dem Hof, wo sie Wäsche aufhängte. Zahlreiche seidene Hemden waren darunter, außerdem fein bestickte Leibchen und spitzenbesetzte Hauben. »Du wolltest mir ein neues Kleid geben«, sprach Anneke die Magd an. Greta tat zunächst so, als hörte sie sie nicht.
»Deine Herrin hat sich schon darüber beschwert, wie ich rumlaufe«, fügte Anneke hinzu. Sie hatte es noch nie mit Dienstboten zu tun gehabt und es lag ihr fern, sich als Herrin aufzuspielen. Aber wenigstens zuhören konnte ihr Greta doch!
Schnaufend wischte sich die Magd die Hände an der Schürze ab und bedeutete ihr, mitzukommen.
In der Kleiderkammer der Kaufmannsfrau wurden die kostbarsten Kleider auf Schneiderpuppen ausgestellt. Die weniger wertvollen waren in Truhen verstaut. Jene, die weder die Herrin noch deren Tochter mehr anzogen, lagerten in großen Weidenkörben.
Als Greta einem davon zustrebte, wusste sie, dass Frieda ihr die Anweisung gegeben hatte, der ungeliebten Nichte ja kein allzu feines Gewand zu geben.
»Hier, such dir eins raus«, sagte sie und hob den Deckel des Korbes an. »Es sind die abgelegten Kleider des gnädigen Fräuleins. Die müssten dir passen. Hast Glück, dass wir sie noch nicht zum Markt geschafft haben.«
»Zum Markt?«, wunderte sich Anneke.
Greta nickte. »Ja, wenn die alten Kleider von der gnädigen Frau und ihrer Tochter nicht mehr getragen werden, verkaufen wir sie. Was sollen sie hier auch
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