Sturmsommer
nebeneinander auf ihren Handtüchern und hatten ihre Finger ineinander verschränkt. Es ist immer noch merkwürdig für mich, Anja und ihn so zu sehen. Ich muss mich wohl daran gewöhnen. Anja himmelt Marc an. Und das kann ich gut verstehen. Ich will ja auch gar nicht, dass Anja sich in mich verliebt. Sie ist wie eine Schwester für mich. Wir zanken uns und vertragen uns wieder, und wenn wir uns zanken, ist es nie ganz ernst gemeint. Aber Marc ist immer so locker und ruhig. Als hätte er vor nichts Angst. Als wüsste er genau, wie die Welt funktioniert. Ihn kann irgendwie nichts erschüttern. Weder Toni noch ich würden das offen zugeben, aber wir haben beide einen Heidenrespekt vor Marc. Obwohl der kein bisschen auf uns herunterguckt.
Eben habe ich das Radio ausgemacht, weil ich es einfach nicht mehr ertrage, diese schrecklich gute Laune überall. Toni meinte mal, er würde später einen Jammersender gründen, bei dem die Moderatoren schlecht gelaunt sind, rummeckern dürfen und depressive Musik spielen.
Mir geht dieser Anruf von Chris vorhin durch den Kopf. Er benahm sich so sonderbar am Telefon. Ich wollte schon Lissi rufen, wie immer, wenn er dran ist, aber da sagte er, ich solle das lassen, sie solle einfach nur bei ihm vorbeischauen.
Schon wieder ein Blitz. Henri läuft unruhig auf und ab und schaut mich immer wieder groß an. Es nützt nichts, dass ich ihn beruhige und hinter seinen Ohren kraule. Vielleicht will er mich beschützen und nicht sich selbst. Unten geht die Haustür. Henri fängt an mit dem Schwanz zu wedeln und zu fiepsen. Lissi? Etwa jetzt schon?
Ja, das sind ihre Schritte. Nur etwas kräftiger als sonst. Und - keine Pause auf dem Treppenabsatz. Wow.
Sie stürzt zu mir ins Zimmer, macht die Tür zu und lehnt sich dagegen. Sie sieht furchtbar aus und reagiert nicht auf Henris Begrüßungssprünge. Überall in ihrem Gesicht sind Tränen.
»Er hat Schluss gemacht«, sagt sie leise und fängt an zu schluchzen. Steht an der Tür und schluchzt. Oje. Warum tut sie das bei mir? Warum nicht bei ihr im Zimmer? Was soll ich denn jetzt sagen?
»Ich fand den eh immer doof«, ich sage das, was ich denke.
Sie schaut mich an, schluchzend, mit großen runden Augen; sie hat kein Taschentuch und versucht dauernd, mit ihren Händen das Schniefen zu stoppen, aber es geht nicht, sie merkt das gar nicht.
»Was…?«
»Ich konnte ihn nicht leiden. Er ist ein Großkotz. Hast du das nie geschnallt? Ein Idiot. Ein Affe. Ich bin echt froh, dass er Schluss gemacht hat.«
Was ist nur mit mir los? Warum sag ich das alles? Ich meine, ja, ich denke so, ja, ich mochte ihn nie. Aber Lissi weint immer schlimmer und jetzt ist sie dazu noch wütend auf mich. Sie bekommt schmale Augen und einen schmalen Mund, wie Mama, wenn ihr was nicht passt, nur habe ich Mama noch nie so heulen sehen. Lissis ganzes Gesicht ist nass, und sie hält sich ihre linke Seite, als wäre sie zu schnell gerannt.
»Ist das alles?«, fragt sie mich. »Das ist alles?«
Wie - das ist alles? Was soll ich denn tun? Ihn zurückpfeifen? Oder etwa lügen? Ich will, dass sie rausgeht. Ich kann ihr da nicht helfen, das ist ‘ne Nummer zu groß für mich und diese Heulerei und das stumme Dastehen gehen mir irgendwie auf die Nerven.
»Du weißt gar nicht, wie weh das tut, was?!«, schnaubt sie mich an.
Ich sage nichts. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich beobachte mich nur selbst, wie ich meinen Kopfhörer aufsetze und ihr den Rücken zudrehe. Meiner Lissi.
»Du merkst ja auch nicht, dass Tanja bis über beide Ohren in dich verliebt ist! Du merkst gar nichts!«
Ich drücke auf den Play-Knopf, aber es kommt nichts, weil der Akku leer ist. Ich höre meine Tür knallen, eins, zwei, drei, jetzt müsste ihre kommen, tatsächlich, zack!, das Haus wackelt fast und sie muss sie noch mal nachziehen, weil die Tür durch die Wucht wieder aufgesprungen ist.
»Scheißkerl!«, brüllt sie durch die Wand, und ich hab keine Ahnung, ob sie Chris meint oder mich. Wahrscheinlich uns beide.
Tanja - in mich verliebt? Wie kommt sie denn darauf? Das ist doch Humbug, das ist erstunken und erlogen.
In meinem Kopf wirbelt alles durcheinander. Meine Wangen sind heiß geworden. Ich bin kein Scheißkerl. Aber mir war das zu viel eben. Warum nur will sie mir davon erzählen. Hat sie keine beste Freundin? Warum geht sie nicht zu Mama? Wie soll ich denn helfen?
Jetzt macht sie wohl irgendwas kaputt da drüben. Es rumpelt und tobt. Henri kratzt draußen winselnd an meiner
Weitere Kostenlose Bücher