Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmsommer

Sturmsommer

Titel: Sturmsommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
alles so belastet. Warum muss sie Zwiebeln schälen. Warum? Man darf doch mit 14 noch gar nicht arbeiten. Was soll das überhaupt?
    Jetzt habe ich Martin eingeholt. Wir sind auf gleicher Höhe. Er schaut zu mir rüber, ich merke es, aber ich habe Angst, seinen Blick zu erwidern, Angst, dass mich das Zeit kostet. Ich drücke mich in die Lücke zwischen ihm und Jens. Okay. Ich bin Zweiter.
    Und ich könnte vor Wut die Wand anschreien, weil Jens in der Projektwoche Toni zum Heulen gebracht hat letztes Jahr. Toni saß in unserem Bunker und weinte leise vor sich hin, ich konnte gar nichts machen und hockte nur stumm neben ihm, Jens hatte seinen historischen Dreimaster zerstört, aus Versehen, wie er immer betonte, aber niemals habe ich ihm das abgenommen. Er hat Toni die ganze Woche getriezt, bis der Angst hatte, morgens in die Schule zu gehen, und kein Lehrer hat uns geglaubt, die haben uns nicht ernst genommen.
    Das Atmen wird immer schwerer, meine Waden brennen, aber da ist noch Kraft übrig, ich merke es genau. Wieder schießt die Szene in der Mühle durch meinen Kopf und ich ärgere mich gleichzeitig darüber, will vor diesem Bild endlich weglaufen, da, noch zwei, drei Schritte, es muss gehen und es geht auch - was ist das? Da ist was in meinem Rücken, verdammt, das ist Jens, er hält mein T-Shirt fest, fast stolpere ich, das schaffe ich so nicht, wie soll ich so laufen, warum zum Teufel merkt das keiner?
    Ich sehe schon die Ziellinie, es sind etwa noch 75 Meter, mehr nicht. Wieder grapscht er nach meinem T-Shirt, diesmal noch fester. Es gibt nur eine Möglichkeit und es ist auch egal, das Shirt war mir eh immer zu groß gewesen. Ich muss es nur hinbekommen, ohne zu stürzen, jetzt - ich ducke den Kopf und ziehe die Arme ein, tatsächlich, es funktioniert, Jens hat mein Shirt in den Händen, und ich bin oben nackt, nur noch wenige Meter, ich bin noch vorne, immer noch, mein Gott, wie die jubeln und schreien, jetzt nur nicht langsamer werden, durchhalten …
    Ich trete über das Ziel und falle nach vorne. Es geht nichts mehr. Krampf in der Wade. »Tom!«, ruft Toni erschrocken.
    »Keine Bange, nur ein Krampf.« Ich lege mich auf den Rücken und ziehe an meiner Fußspitze, während hinter mir die Hölle los ist.
    »Meine Herren, mit nacktem Oberkörper über die Ziellinie, das geht in die Schulgeschichte ein«, grinst Anja und springt um mich rum.
    Der Krampf lässt langsam nach. »Der Idiot hat mich festhalten wollen«, versuche ich zu sagen. Ich kann kaum sprechen, so sehr schnappe ich nach Luft. »Er ist disqualifiziert worden«, freut sich Toni. Dann schaut er mich kritisch an. »Jetzt siehst du wenigstens wieder nett aus. Du hast geschaut, als würdest du jemanden umbringen wollen.«
    »So sieht das halt aus, wenn man für vier Leute die Ehre rettet«, knurre ich. »Hab ich wirklich gewonnen?«
    »Du hast. Wirklich. Und wir dachten alle, du loost ab. Du warst ja das Schlusslicht. Echt coole Taktik!« Toni ist stolz.
    Wenn du wüsstest, denke ich. Oder hatte ich ganz tief drinnen doch die ganze Zeit vor zu siegen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es mir gut geht. Richtig gut. Aber aufstehen will ich nicht wieder.
    »Heute Mittag See?«, frage ich in die Runde. Alle stehen sie um mich herum und schauen auf mich runter.
    »Klar!«
    »Thomas, steh bitte auf, du musst dich noch ein bisschen bewegen«, mahnt mein Sportlehrer. Unter Schmerzen erhebe ich mich und gehe alleine meine Runde. Tanja ist nirgends zu sehen. Dabei war sie angeblich auch Jahrgangsbeste. Will sie sich nicht ehren lassen? Und überhaupt, klebt sie nicht sonst auch immer an mir dran?
    Na ja, mir soll es recht sein. Ich habe also gewonnen und muss nachher auf dieses Podest hoch. Ich muss? Ich darf! Ich hebe mein T-Shirt von der Bahn auf und ziehe es über, setze mich ins Gras an einen Baum und lasse meinen Atem zur Ruhe kommen. Toni kommt rüber und setzt sich stumm auf die andere Seite vom Baum, und da sitzen wir, Rücken an Rücken, sagen nichts und sind zufrieden damit. Das kann ich nur mit ihm.

 
    GESCHWISTERKRIEGE
    Es gewittert. Endlich. Mein Radiowecker zeigt 21.47 Uhr und meine Knochen tun mir so weh, dass ich nicht schlafen kann. Eigentlich will ich auch noch nicht schlafen. Ich mag Gewitter. Am See konnten wir schon sehen, wie die Wolken sich auftürmten, wirklich irre Wolken. Ich hatte kaum Lust zu baden, dümpelte nur am Ufer rum, so kaputt war ich.
    Anja hat sich von Marc den Rücken eincremen lassen und danach lagen sie eng

Weitere Kostenlose Bücher