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Sturmsommer

Sturmsommer

Titel: Sturmsommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Tür. Er ist eben Lissi hinterhergetrabt, aber offenbar ist es ihm nicht mehr ganz geheuer bei ihr. Kann ich verstehen. Ich lasse ihn rein. Sofort verzieht er sich unters Bett; nur sein Schwanz guckt raus und klopft hektisch auf den Boden, sobald es drüben wieder kracht. Was macht sie da nur?
    Ich ziehe mir die Decke über den Kopf. Es stimmt, ich habe keine Ahnung, wie das ist, wenn man verlassen wird. Irgendwann werde ich das wohl auch wissen. Obwohl ich im Moment noch vorhabe, niemals verlassen zu werden. Aber Mama sagte mal, so was gibt’s nicht.
    Ich weiß aber, wie es ist, wenn jemand nicht mehr da ist. Ich weiß das wegen Oma. Und da hilft nichts. Wirklich gar nichts.
    Nun ist es still geworden. Man hört nur noch den Wind in den Bäumen und ganz leises Donnergrollen. Lissi tobt nicht mehr. Wahrscheinlich liegt sie in all ihrem Kram auf ihrem Bett und heult. Ich ziehe die Bettdecke wieder runter und schaue mich um. Mein Schreibtisch ist eine Katastrophe. Schulbücher, Mathezettel, Pferdekram, CDs, alles durcheinander. Nebendran der künstliche Wüstenkaktus mit den vielen kleinen Lämpchen drin. Und darunter mein erster Sattel. Da schau ich gerne hin. Auch jetzt. Ich mache alle Lichter aus, bis auf den Kaktus, und versuche zu hören, ob Lissi weint. Nein, ich höre nichts. Mama lacht im Garten mit Papa. Sie haben nichts mitbekommen. Lissi ist ganz alleine.
    Henri kriecht Stück für Stück unter meinem Bett hervor, den Bauch immer noch flach am Boden und mit Knickschwänzchen.
    »Na komm«, sage ich leise. Langsam fangen meine Knochen und Muskeln an wehzutun. Er macht zwei Schritte auf mich zu, setzt sich hin, legt seinen Kopf auf meine Füße und fiept. Mit weichen, bittenden Augen schaut er mich an. Er hasst es, wenn Lissi und ich streiten. Das ist für ihn noch schlimmer als Gewitter.
    »Ich weiß genau, was du willst, Hund«, seufze ich und stehe auf.
    Lissi und ich begegnen uns im Flur, auf halber Strecke zwischen unseren beiden Zimmern.
    »Ich …«
    »Ich wollte …«, sagen wir gleichzeitig.
    Sie sieht immer noch schrecklich aus. Ich glaube, sogar schrecklicher als vorhin.
    »Wisch mal deine Schminke weg«, sage ich und sie zuckt mit den Schultern. »Ist doch jetzt eh egal. Und du weißt ja, wie ich aussehe.«
    Ich bin mir da nicht mehr so sicher.
    Wir gehen in mein Zimmer und setzen uns auf den Boden vor meinen Kaktus.
    »Vielleicht hast du recht«, sagt sie mit erstickter Stimme. »Vielleicht war er ein Idiot. Aber immerhin war er der erste Mann, mit dem …«
    »Halt, stopp, aus!«, rufe ich und presse die Hände auf meine Ohren. »Ich will so was gar nicht wissen, echt nicht. Nein.«
    »Ist gut, hey, ist gut!« Sie zieht meine Hände runter. »Mit dem ich mir vorstellen konnte - das zu tun«, redet sie weiter. »Mein Gott, Tom, ich bin 18, da haben andere schon ein Kind.«
    »Ich will es trotzdem nicht wissen«, sage ich ein zweites Mal und zähle die Lämpchen. 36 sind es, sicher, aber ich zähle trotzdem weiter.
    »Hat er denn eine andere?«, frage ich, ohne Lissi anzuschauen.
    »Ich glaube nicht. Nein. Ich war ihm nur zu - na ja, zu langweilig. Ja, zu langweilig.« Sie schluckt schwer und ihre Augen füllen sich wieder mit Tränen.
    »Langweilig? Du? Die Surfmeisterin von Lindau? Langweilig?« Ich kann es nicht fassen. Lissi ist vieles, aber nicht langweilig.
    »Guck doch mal. Ich geh nicht gern weg. Und wenn ich weggehe, dann tanze und trinke ich nicht. Ich rauche auch nicht. Ich bin langweilig«, sagt sie. »Und Sex …«
    »Lissiiii«, unterbreche ich sie gequält. Ich kann mir denken, was sie sagen wollte. Es ist egal. Sie bleibt jetzt still, nachdem ich ihr ungefähr fünfzehn Mal gesagt habe, dass und warum sie nicht langweilig ist. Sie rollt sich neben Henri auf meinem Bett zusammen, während ich auf dem Boden liege und meinen Kopf an meinen alten Sattel lehne, der so wunderbar nach Stall und Erinnerungen riecht.
    Über Tanja reden wir nicht. Sie muss sich das ausgedacht haben. Es geht gar nicht anders.
    Vielleicht sind wir tatsächlich langweilig. Für jemanden wie Chris. Von mir aus. Dann sind wir eben langweilig. Im Moment fühlt es sich gut an, langweilig zu sein.
    Ich mache den Fernseher an und schalte auf den DVD-Rekorder. Da ist Der Herr der Ringe drin, der erste Teil, und wir schauen nicht hin, hören nur die Musik und die Stimmen und stellen uns die grünen Wiesen vor.
    Das leise Schnarchen von Henri weckt mich. Mir tut alles weh. Lissi schläft tief und fest. Ich decke sie zu

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