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Sturmsommer

Sturmsommer

Titel: Sturmsommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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unser Ehrenretter«, höre ich Anja zu ihrer Freundin sagen.
    »Das wird sich noch zeigen«, knurre ich in mich rein. Mir ist nicht nach Reden, obwohl ich zu allen nett und freundlich bin. Toni quasselt wieder ununterbrochen. Ich sage nur »Ja« und »Hm«, er merkt das nicht mal. Die wissen gar nicht, wie schwer das für mich ist. Einmal sportlich, immer sportlich, denken sie. Aber so ist das nicht. In Mathe bin ich auch mal gut gewesen.
    Ich gehe zu Marc rüber. Toni macht mich ganz wirr im Kopf mit seinem ständigen Gebrabbel.
    »Laufen wir uns warm?«, frage ich Marc, der mit einem zufriedenen Grinsen in die Sonne blinzelt, obwohl er Sportwettbewerbe doch so hasst.
    »Okay.« Wir traben gemeinsam auf die Aschenbahn und ich merke, dass ich es mag, dieses weiche, trocken riechende Rot unter den Füßen. So aufgeregt ich auch bin. Und so ungerne ich mich an meinen Sturz erinnere. Die Sonne scheint auf unsere Rücken, als wir uns von der Masse wegbewegen.
    Marc beginnt zu schnaufen und brabbelt etwas von Abnehmen und zu dick. Aber wenn Marc neben mir läuft, werde ich ruhiger. Weil er selbst immer so gelassen ist. Manchmal glaube ich, Marc braucht weniger Atemzüge als andere Menschen.
    Ich passe mich seinem gemächlichen Tempo an. Es spart Kraft. Stehen bleiben möchte ich aber auch nicht. Sondern einfach nur in Bewegung bleiben. Nicht nachdenken. Erst springen, dann Kugelstoßen, dann Sprint. Und dann die 1000 Meter.
    Okay. Das war ja bisher ganz gut. Ich hab noch nicht gerechnet, wie weit ich gekommen bin. Alle anderen rechnen, drücken sich an den Punktetafeln die Nase platt. Ich war bei den 75 Metern schneller als Jens, das weiß ich zumindest. Ein paar Hundertstel. Aber immerhin schneller. Ich will nur meine Ehrenurkunde wie jedes Jahr und basta. Und vor allem will ich endlich die Langstrecke hinter mich bringen.
    Ich lieg auf dem Rasen, im Halbschatten, und versuche an andere Dinge zu denken. Ich möchte wissen, was Lissi vorhin mit Tanja zu reden hatte. Warum sie überhaupt mit ihr redet. Was soll das eigentlich?
    Ich würde mich gerne hier wegkatapultieren. Im Moment geht mir der Trubel auf den Keks. Das, was ich früher geliebt habe. Ich hab mich toll gefühlt dabei. Wird das jetzt nie wieder so sein? Ich fühle mich nicht mehr toll, sondern beobachtet und unter Druck.
    »Knapp vorbei«, zischt es in mein Ohr.
    »Was?!«, erschrocken richte ich mich auf. Es ist Toni. Er lässt sich neben mir auf den Bauch fallen und streckt dramatisch alle viere von sich.
    »Ich hab noch nicht mal ‘ne Siegerurkunde.«
    »Mensch, Toni … warum denn das?«
    »Dreimal übertreten. Einmal die Bahn gewechselt. Was erwartest du? Wenigstens hab ich mir diesmal nicht den Zeh gebrochen. Außerdem hast du ja kräftig unsere Ehre gerettet.«
    »Meinst du?« Ich dehne meine Waden. Seit dem 75-Meter-Lauf sind sie wie taub.
    »Du bist Jahrgangssieger.«
    »Bitte?« Das hatte ich noch nie geschafft.
    »Jens ist stinkesauer. Er will’s dir zeigen, bei der Langstrecke. Er säuft die ganze Zeit isotonische Getränke und reibt seine Beine mit stinkendem Zeugs ein.« Toni schnaubt verächtlich. »Freust du dich gar nicht?«
    »Ich weiß es nicht genau«, seufze ich und lasse meine Waden wieder in Frieden. Das nützt sowieso nichts.
    »Deine Mathefee ist übrigens gar nicht übel.«
    »Wie, was soll das heißen?« Fängt Toni jetzt etwa auch noch an, mit ihr anzubändeln? Es reicht, dass Lissi das getan hat.
    »Im Sport! Ich meine, im Sport. Reg dich ab. Sie springt saugut. Die haben alle gestaunt. Aber sie war genauso miesepetrig drauf wie du. Ich find’s klasse heute. Wenigstens keine Schule und man kann ohne Unterlass Mädels gucken«, meint Toni und starrt Jens an, der wilde Aufwärmbewegungen macht.
    »Wie lange noch?«, frage ich.
    »Zwanzig Minuten.«
    »O Gott. Das halte ich nicht durch.«
    »Komm, ich leih dir meinen MP3-Player. Da kannste abschalten.« Toni drückt mir die Kopfhörer in die Ohren.
    »Was ist das?«, brülle ich.
    »Chicane! Gut zum Laufen. Ehrlich. Jetzt guck nicht so, sei tolerant, ich hör eben andere Musik als du.«
    Ich lasse mich drauf ein, während Toni neben mir zu dösen beginnt. Und tatsächlich. Es funktioniert. Die Musik umfängt mich, füllt meinen ganzen Kopf aus, lullt mich ein. Am liebsten würde ich mit ihr laufen.
    Ich schau nach oben, in die Blätter, die sich in alle Richtungen drehen und bewegen, ein silbergrünes Geflimmer, und zum ersten Mal heute klopft mein Herz fast normal, nicht so laut

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