Sturmsommer
und gehe in ihr Zimmer. Jetzt weiß ich, was sie kaputt gemacht hat. Das gerahmte Bild von ihr und Chris und etliche CDs. Richtig zerbrochen hat sie die. Es tut mir fast weh, als ich die Splitter ansehe. Und sie hat Klamotten ausgemistet, alte Jeans und Kuschelpullis. Warum nur? Ich muss den ganzen Kram aus ihrem Bett rausräumen, dazu fünf Bücher, zwei Schulhefte, ihr Mäppchen und einen Apfel. Dann ist Platz für mich.
Zum Glück hat Chris nie hier übernachtet, sonst würde ich mir ganz komische Dinge vorstellen müssen. Es riecht nur gut nach Lissi und nach zu Hause. Ich strecke meine schmerzenden Waden aus und ziehe die Decke bis zu den Ohren hoch. Endlich liegen. Es war doch ein guter Tag, alles in allem.
GRuPPENumARmuNG
Ich habe wohl zurzeit kein Glück mit Menschen. Zwischen Toni und mir ist dicke Luft. Wie es gekommen ist - ich weiß es nicht mehr genau. Aber seit der ersten Pause sitzen wir wie zwei Fremde nebeneinander.
Ich hab nicht gut geschlafen in Lissis Bett. Mir tat alles weh vom Sportfest und heute Morgen hatte ich scheußlichen Muskelkater und Kopfschmerzen. Da war noch ein Buch unter dem Kopfkissen gelegen, das ich nicht aussortiert hatte. Die Ecke zeichnete sich rot auf meiner Wange ab. Eine richtige Schlafnarbe.
Lissi saß blass am Frühstückstisch und redete nicht. Sie sah fertig aus.
Ich konnte mich auch nicht recht freuen, dass meine Urkunde dick und fett am Schwarzen Brett hing, na ja, und eben die der anderen, die etwas gewonnen haben. Auch Tanja, als beste Weitspringerin in gleich drei Altersklassen.
In der Pause hat Toni ihr gratuliert. Hat ihr die Hand gegeben. Sie hat ihn angegrinst und ein paar Worte mit ihm gewechselt. Und Toni hat gelacht. Das konnte ich nicht verstehen. Dass er so gegen mich agiert. Aber er tat so, als redete ich chinesisch. Was ich denn hätte. Da sei nichts dabei.
»Ich dachte, wir sind Freunde«, sagte ich.
»Wir sind ja auch Freunde«, antwortete er. »Ich bin aber nicht dein Sklave, verstehst du? Unter Freunden gibt es keine Sklaven.«
Ich sagte ihm, dass er Bullshit redete, aber er blieb stur. Er könnte die Hand geben, wem er wollte, von ihm aus zehn Mal am Tag Tanja. Ich sei zickig, meinte er. Zickig!
Jetzt sitzen wir da und schweigen uns an; passen ständig auf, dass unsere Ellenbogen sich nicht berühren und wir uns ja nicht anschauen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal Krach mit Toni hatte. Ob wir überhaupt schon mal wegen anderer Menschen gestritten hatten. Ich glaube, das ist das erste Mal.
Jetzt kommt ein Briefchen für mich; Suse legt ihn mir rüber, da Toni auf stur stellt. Vorsichtig öffne ich ihn und passe auf, dass unsere Erdkundelehrerin nichts bemerkt. Aber sie schwärmt immer noch von den Tropen und den vielen, vielen Insekten dort.
Der Zettel ist von Anja. »Was ist los mit dir?«, steht da mit lila Tinte. Lila! Warum überhaupt können Mädchen nicht einfach mal normale blaue Tinte benutzen?
Sogar dieser Brief geht mir auf den Keks. Da sind einfach zu viele schwierige Menschen um mich herum. Und da ist dieser Satz von Lissi, der mir nicht aus dem Kopf geht. Und ein Toni, der schaut, als hätte ich ihm sämtliche Modellboote zerstört.
»Krach mit Toni«, schreibe ich zurück und werfe den Zettel zu Suse rüber, die ihn weiterreicht. Toni zuckt und schnauft dann hörbar durch. Ausgerechnet er. Zu Hause hat er ganze
Plastikbeutel voller Briefchen, die er mit Hingabe in den Schulstunden verfasst hat.
Nein, Tanja kann nicht in mich verliebt sein. Ich bin nicht mal freundlich zu ihr. Gar nichts. Tage mit Nachhilfe sind verlorene Tage; mir ist vorher fast schlecht und immer denke ich, es ist zu wenig Luft im Zimmer. Und danach glüht mein Kopf. Ich lächle sie nie an oder so. Aber kann ich das jemandem erzählen? Niemals. Keiner würde mich verstehen.
Frau Scheifele hat es immer noch mit den Tropen. Regenwald als faszinierendes Ökosystem. Ich kann nicht zuhören, obwohl mich ferne Welten interessieren. Ich stütze meinen Kopf in die Arme und lasse meine Blicke schweifen, während Toni erneut schwer seufzt.
Vor mir tuschelt Tanja mit Barbara. Die Sonne knallt genau auf sie drauf und ihre Haare sehen aus, als ob sie brennen. Hexe, denke ich und beiße mir auf die Lippen, als hätte ich es ausgesprochen. Ich kann sie mir gut vorstellen als eine, die bei Vollmond Kräuter pflückt und Tränke braut, und die einzigen Wesen, mit denen sie auskommt, sind schwarze Katzen. Nichts für Henri und mich.
Tanja auf
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