Sturmsommer
Heu schräg neben mir. Und der Mond zeigt mir auch, gegen was ich eben versehentlich getreten habe.
Es ist Meteor. Meteor mit Tanja. Er liegt seitlich auf dem Boden und sie hat sich an seine Halsbeuge gekuschelt. Ihr rotes Haar und seine schwarze Mähne gehen ineinander über. Meteor hat die Augen sanft offen. Ich weiß nicht, wer hier wen beschützt. Meteor Tanja oder Tanja Meteor. Sie weint, obwohl sie im Halbschlaf ist. Es muss furchtbar kalt sein da unten. Ich richte mich auf und schaue auf Meteors Hals. Da, wo Tanjas nass geweintes Gesicht blass herausleuchtet. Bloß nicht in seine Augen schauen, das könnte ihn nervös machen. Doch er bewegt nur kurz seine Ohren und bleibt ganz ruhig, als er mich erkennt. Sein großer Kopf liegt schwer auf dem kargen Stroh.
Und ich weiß, dass das wieder eines von diesen Bildern sein wird, die ich niemals löschen kann. Die immerzu da sein werden, selbst wenn Meteor schon längst tot ist. Wenn er tot ist…
Ich lasse mich runter auf den Boden sinken und reibe lautlos meine kalten Knöchel. Das also macht Tanja nachts, wenn sie nicht im Zelt ist. Sie schläft bei Meteor. Um bei ihm zu sein. Aber wo ist dann Marc?
»Tanja … bist du schon wieder hier?«, beantwortet seine Stimme meine Frage. Ich weiß nicht, wo er hergekommen ist. Er steht genau vor mir, ohne mich zu bemerken. Ich hab mich ja auch in die dunkelste Ecke gedrückt. Oder hat er mich bemerkt und tut nur so, als sei ich nicht hier? Obwohl ich sein Gesicht nur undeutlich im dämmrigen Stall erkennen kann, sehe ich, dass es ernst ist. Er scheint sich Sorgen zu machen.
Tanja blinzelt und richtet sich mühsam auf. Offensichtlich tut ihr alles weh.
»Warum bist du nicht im Zelt? Warum? Du liegst hier auf dem kalten Steinboden, stundenlang, wie die letzten Nächte auch«, sagt Marc.
»Spionierst du mir nach, oder was?«, fragt Tanja betont kühl. Ihre Stimme ist heiser. Sie räuspert sich und fasst sich an den Hals.
»Ich spüre, dass etwas nicht stimmt.« O ja, Marc, du hast so recht. Es stimmt gar nichts mehr. Nichts. Das ist ein einziger Albtraum geworden, diese Ferien sind der reinste Albtraum. Endlich merkt es auch jemand anderes.
»Er muss sterben. Im Herbst«, sagt Tanja tonlos. Stockend erzählt sie ihm das, was ich auch schon weiß. Dass es seine Besitzerin so will. Dass er ein Schulpferddasein nicht mehr schafft. Dass sie nichts dagegen tun kann, weil es einfach nicht ihr Pferd ist. Sie weint die ganze Zeit. Ich habe sie noch nie so weinen sehen. Es ist anders als damals in der Mühle. Da waren es ja nur Tränen vom Zwiebelschälen. Trotzdem ist es seltsam. Sie schluchzt gar nicht. Sie spricht ganz normal, aber ständig laufen neue Tränen an ihren Wangen hinunter und hinterlassen kleine dunkle Punkte auf ihrem T-Shirt. Und ihre Augen sehen so hoffnungslos und verschwollen aus.
Marc lehnt an dem aufgeschichteten Heu und hört ihr einfach zu. Fragt nur ab und zu nach.
»Das Schlimme ist, dass es nicht sein müsste«, sagt Tanja. »Gut, er ist alt, er schafft nicht mehr viel. Wenn ich nicht wüsste, dass es sein letzter Sommer ist, hätte ich ihm das hier nie zugemutet. Aber er soll noch mal etwas Schönes erleben. Er wurde so schlecht behandelt. Von einem Besitzer zum nächsten. Sie haben ihn damals noch mit Barren trainiert. Er wurde geschlagen. Und trotzdem ist er jedes Mal tapfer gesprungen.«
Meteor liegt immer noch still da und lauscht. Er muss das einfach verstanden haben. Ich denke, er weiß, um was es geht. Warum steht er nicht auf und rennt weg? Warum nur greift er niemanden an, sondern bleibt so geduldig und friedlich?
»Ich hab endlich mal irgendwo dazugehört«, erzählt Tanja weiter. »Seit ich denken kann, will ich reiten. Und wir hatten nie Geld. Für nichts. Ich durfte ja nicht mal auf die Klassenfahrten mit. Und Mama will sich auch nichts schenken lassen. Ich hab drei Tage lang mit ihr gestritten, bis sie endlich die Zuschüsse vom Freundeskreis des Reitvereins akzeptiert hat, die ich hierfür bekommen habe.« Sie schnäuzt sich und atmet schwer durch.
»Ich hab wie ein Sklave geschuftet, um dieses Pferd reiten zu können. Manchmal hat Marlies mich morgens um halb sechs aus dem Bett geklingelt und zum Misten in den Stall bestellt. Nicht nur für seine Box. Auch für ihre anderen Pferde. Sie weiß genau, dass ich alles tun würde für ihn. Und das stimmt ja auch. Ich würde alles tun. Aber ich habe kein Geld. Verstehst du? Es reicht nicht. Ich hab in jeder freien Minute gearbeitet, um
Weitere Kostenlose Bücher