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Sturmsommer

Sturmsommer

Titel: Sturmsommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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wissen, was mit ihr los ist und wen sie nun wieder verdächtigt. Jedenfalls bin es ganz bestimmt nicht ich.
    »Da!«, rufe ich und werfe ihr das Handy vor die Füße. Ich spüre auf einmal eine unbändige Wut. »Ich habe es genommen. Ich, nicht Tanja. Ich war es und es war ein verdammter Notfall!«
    Sie schaut mich fassungslos an und schlägt dann die Hände vors Gesicht. Johannes, der neben ihr steht und gerade mit ihr geredet hat, verstummt und geht instinktiv einen Schritt auf mich zu.
    »Du …? Du!?«
    Bevor ich antworten kann, bricht Anne in Tränen aus.
    »O Gott, und ich hab Tanja verdächtigt und nun ist sie verschwunden und Meteor ist verschwunden, o Gott«, ruft sie und verbirgt ihr Gesicht in ihren Händen.
    »Anne! Nun beruhig dich doch mal«, sagt Johannes und versucht, sie in den Arm zu nehmen. »Sie ist sicher nur mit ihm spazieren gegangen.«
    »Was? Sie ist weg? Tanja ist weg?«, unterbreche ich die beiden. Ich habe ein furchtbares Gefühl im Bauch. Ihre hängenden Schultern und die zitternden Hände. Dieser tote Blick. Und jetzt ist sie verschwunden. Plötzlich fällt mir dieses Lächeln ein, dieses kalte seltsame Lächeln, das sie im Gesicht hatte, als Johannes von der Schlucht erzählte. Das ich einfach nicht einordnen konnte.
    Ich lasse die beiden stehen und renne zur Weide, so schnell ich kann. Damos steht immer noch mit hängendem Kopf an dem Felsblock. Während ich laufe, lasse ich meinen Blick schweifen. Ich kann sie nirgends sehen, aber ich habe eine schreckliche Ahnung, wo sie ist. Denn ich kenne das selbst. Wenn die ganze Welt gegen mich ist, dann ist es mir egal, was ich darf und was nicht. Und ihr wird es auch egal sein. Ich fürchte sogar, ihr ist jetzt alles egal.
    Damos ist müde, das erkenne ich gleich, aber ich kann ihn nicht schonen. Mit einem Sprung hechte ich über den Zaun, mit dem nächsten auf seinen Rücken. Ich schlage ihm meine Hacken in die Seiten und kralle mich in seine Mähne. Er trägt nicht mal ein Halfter, doch ich habe keine Zeit, das zu ändern. Er bäumt sich wütend auf und stürzt in einen wilden, unregelmäßigen Galopp. »Damos, ich brauche dich jetzt, bitte hilf mir!«, flehe ich. Seine Ohren richten sich während des irren Galopps über die Weide aufmerksam auf, als ich mit ihm zu reden beginne, und ich spüre, wie sich seine Muskeln nun gleichmäßiger anspannen.
    Den Satz über den Zaun schafft er auf Anhieb. Ich kann ihn kaum mehr halten, nur noch lenken. Die Wiese hinter dem Stall steigt an, aber gerade nur so viel, dass es ihn zusätzlich antreibt. Als wir auf der Kuppe sind, sehe ich sie. Tanja und Meteor. Auf dem Felsplateau. Sie muss ihn tatsächlich über die Brücke geführt haben. Wenn ein Pferd über eine solche Brücke geht, dann Meteor. Mit Gewalt bringe ich Damos zum Stehen. Er wiehert ängstlich und steigt, als ich an seiner Mähne ziehe. Ich rutsche, kann mich aber oben halten. »Steh!«, brülle ich. »Du musst mir jetzt helfen, bitte!« Versteht er das? Versteht er, dass ich ihn jetzt wirklich brauche? Papa konnte ich es einfach sagen, aber Damos? Ich halte eine Sekunde inne und lege meine Arme um seinen Hals, drücke meine Wange an sein Fell. »Hilf mir«, sage ich beschwörend. »Du musst jetzt springen.«
    Was ich sehe, raubt mir den Verstand. Tanja jagt mit Meteor auf den Abgrund zu. Ich muss sie einholen. Und ich kann das nur, wenn Damos springt. Und zwar neben der Brücke, an der schmälsten Stelle. Ich lenke seinen Kopf in Richtung Brücke. »Bring mich da rüber. Bring uns rüber. Du kannst das.« Er tänzelt nervös, dann starte ich. Während ich ihn auf die Brücke zutreibe und sein Galopp immer schneller wird, fällt mir ein, was Papa mir stets eingetrichtert hat. Niemals unbekannte Risiken eingehen. Niemals das Pferd überfordern. Niemals mit schlechter Ausrüstung reiten. Niemals ein müdes Pferd zu hoher Leistung zwingen. Und ich breche all diese Regeln. Denn ich habe nur eine einzige Chance - schneller zu sein als Tanja.
    Unter mir spritzen die Steine auf. Einer schlägt mir ins Gesicht, knapp über die Augen. Ich spüre den Schmerz nicht. Ich versuche wieder, mein Gehirn mit dem von Damos zu verknüpfen, ihn fühlen zu lassen, was er tun soll. Noch drei Galoppsprünge, noch zwei, noch einer - und jetzt, springen. Spring … »Spring!«, schreie ich und spüre, wie sein Rücken zur Feder wird. Vielleicht ist es gut, dass ich ohne Sattel reite. Es ist weniger Gewicht für ihn. Ich höre Gestein bröckeln und mache den

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