Sturmsommer
Ich bin erleichtert, aber immer noch gereizt. Denn ich habe schon wieder ein Problem am Hals. Tanja. Und ihren gottverdammten Stolz. Was ich jetzt brauche, sind wenigstens ein paar Stunden Ruhe, sonst drehe ich wirklich durch. Ich kann erst mal nicht mehr.
Marc nickt. »Tom - du solltest dir vielleicht kaltes Wasser ins Gesicht spritzen oder so. Ich glaub, du kippst gleich um.«
»Ich weiß«, sage ich knapp und gehe zum Brunnen. Ohne nachzudenken, halte ich meinen Kopf unter die kalte Pumpe. Das eisige Wasser nimmt mir den Atem. Was hab ich nur getan. Ich bin in den Planwagen eingebrochen, hab unserer Betreuerin ihr Handy geklaut, meinen Vater angebettelt, mich verschuldet und zwei Pferde am Hals, die ich nie und nimmer versorgen kann. Und wenn Lissi nach Amerika geht, kann ich auch mit ihr nicht rechnen.
Doch obwohl mir jeder Muskel wehtut und mein Kopf dröhnt, weiß ich, dass es das Richtige war. Ich werde jetzt erst mal meine Reitsachen anziehen und frühstücken. Vor dem Planwagen ist schon eine Menge los. Die werden entdeckt haben, dass das Handy fehlt. Ich muss es irgendwie reinschmuggeln, dann denkt Anne vielleicht, sie habe sich geirrt und es einfach nur verlegt.
Aber das kann ich nicht jetzt tun. Erst heute Abend. Wenn alle in ihren Zelten liegen. Ich werde also wieder nicht zum Schlafen kommen. Ich laufe mit klatschnassen Haaren zurück zum Zelt. Außer Marc sitzen noch alle genauso da wie vorhin, drei erstarrte Salzsäulen.
»Ich hab ‘ne Bitte«, sage ich. »Erzählt niemandem, dass ich ein Handy dabeihabe. Okay? Kann ich mich auf euch verlassen?« Ich wundere mich über meinen harschen Ton. Aber wenn die mich verpetzen, werde ich heimgeschickt.
»Egal, was jetzt gleich passiert - kann ich euch vertrauen?«
»Ja«, sagen Sid und Freddie sofort. Sid scheint das alles spannend zu finden.
»Ja«, kommt es etwas zögerlicher von Toni, der genau weiß, dass das nicht mein Handy ist. »Klar sage ich nichts. Aber du wirst mir langsam unheimlich.«
Ich quetsche mich in meine Stiefel. Meiner Wade gefällt das gar nicht.
»Lasst uns frühstücken gehen«, brumme ich und laufe rüber zum gerade angefachten Feuer. Es ist kurz nach sechs. Die ersten Sonnenstrahlen blitzen über die Bergkuppe. Vor den Bänken mache ich noch einmal einen Schlenker und gehe zur Weide. Meteor steht neben Damos an der Tränke und rupft Gras. Die Sonne zaubert kupferfarbene Reflexe in sein Fell. Es ist nicht sein letzter Sommer. Er wird leben.
SommERsTuRm
Beim Frühstück merke ich, dass meine Erleichterung eine kurzfristige Sache war. Der dicke Knoten im Bauch ist schon wieder da. Und genauso das Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren wird. Dass Unheil in der Luft liegt. Vielleicht ist auch das Wetter schuld. Es ist drückend schwül geworden. Eine milchige Sonne ist aufgegangen und schon ziehen graue, diesige Schleierwolken über den Himmel. Noch immer kann ich nicht richtig Luft holen.
»Setz dich mal aufrecht hin«, ermahnt mich Toni. In dem Moment durchfährt es mich wie ein Blitz. Jetzt weiß ich, was mich so beunruhigt. Was so anders ist als sonst. Was nicht ins Bild passt. Das, was mich an Tanja immer so geärgert hat, war ihr Stolz. Ihre extrem aufrechte Haltung. Wie sie ihre Schultern straffte, wenn sie sich an eine neue Matheaufgabe machte oder wenn sie abgehört wurde in der Schule. Oder wenn ich ihr meine Abscheu zeigte.
Ich versuche, sie in der Menge zu finden. Sie sitzt wieder abseits, und ja, mein Eindruck war richtig. Sie schaut auf den Boden, mit hängenden Schultern und krummer Wirbelsäule. Ihre Haare fallen ihr ins Gesicht, das mir wie versteinert vorkommt. Sie wirkt wie eine Außerirdische zwischen all den quasselnden und gackernden Mädchen am Tisch. Als hätte ein Raumschiff der Traurigkeit sie dort fallen gelassen.
Ich habe keinen Hunger mehr. Ich lasse mein Brötchen angebissen liegen und gehe ins Zelt, um meine Siebensachen zusammenzupacken. Wieder überlege ich, ob ich nicht langsam stinke, und wundere mich darüber, dass es mir eigentlich egal ist. Wenn, dann stinken wir alle. Ich krame in meinem Rucksack nach dem Bremsenschutzgel für Damos. Die Biester sind schon heute früh richtig aggressiv.
Mir ist klar, dass ich Toni mit meinem Verhalten keinen Gefallen tue. Ich rede kaum mehr etwas, reagiere fast kalt auf seine Versuche, etwas aus mir herauszubekommen. Aber ich kann im Moment nicht darüber reden. Es gibt noch so vieles, das ich lösen muss, worüber ich alleine für mich
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