Sturmsommer
gewesen in den vergangenen Tagen, was ich nicht berücksichtigt habe. Mein Arm gehört wieder mehr zu mir als vorhin, doch der Schmerz bohrt und wütet weiter.
»Und du hast schon wieder ‘ne Schramme auf der Stirn. Und da, dein Ellenbogen …«, sagt Anja und zeigt auf mich. Tatsächlich, er ist voller Blut. Alle schauen mit großen Augen auf uns herunter.
»Bin vom Pferd geflogen, nachdem ich Damos über die Brücke geführt habe und wieder aufgestiegen bin. Er mag keine Brücken.« Über die Brücke geführt. Wir sind da drübergesprungen. Das darf wirklich niemand wissen.
»Und warum hast du das Handy geklaut?«, fragt Anne schüchtern. Sie wirkt lange nicht mehr so streng wie vorhin, sondern zerknirscht und reumütig.
»Meteor sollte im Herbst zum Schlachter. Ich brauchte das Handy, um meinen Vater zu überreden, ihn freizukaufen. Und das habe ich Tanja hier gesagt.« Und dabei haben wir uns beinahe samt Pferden in den Abgrund gestürzt. Doch das braucht niemand zu erfahren.
»Jetzt verstehe ich endlich!«, ruft Toni und verdreht die Augen. »Und warum konntest du mir das nicht sagen?«
Ach Toni, es war so kompliziert, denke ich. Aber hat er nicht recht? Immerhin ist er mein Freund. Mein bester Freund. Ich hätte es vielleicht versuchen sollen. Er hätte mir von allem abgeraten, was ich getan habe, aber immerhin hätte er gewusst, was mit mir los ist.
»Es ging so schnell«, murmle ich und streiche mir mit dem gesunden Arm den Staub von meinen Kleidern. Tanja sitzt stumm neben mir und schaut die anderen aufmerksam an.
»Sag auch mal was«, fordere ich sie auf.
»Der Mistkerl hat mein Lieblingspferd gekauft«, grinst sie in die Runde. Ihr Grinsen ist zwar schwach, aber echt. Erstaunt blicke ich sie an. Ganz schön zäh, dieses Mädel.
Sids Augen strahlen. Er findet das alles nach wie vor Spitzenklasse und aufregend. »Cool«, meint er nur und kickt mir mit der Stiefelspitze in die Seite.
»Es ist jetzt also wieder alles in Ordnung?«, fragt Toni vorsichtig.
»Ja, alles in Ordnung«, sagen Tanja und ich gleichzeitig. Abgesehen von meinem kaputten Arm. Aber jetzt ist erst mal alles in Ordnung.
Damos lässt sich widerstandslos über die Brücke führen. Solange er nicht noch einmal springen muss, ist ihm offensichtlich alles recht. Auf der Weide untersuchen Tanja und ich heimlich die Pferde. Damos’ Hufe sind einigermaßen heil geblieben, am rechten Vorderbein ist das Horn etwas eingerissen, aber nichts Dramatisches. Meteor lässt die Prozedur geduldig über sich ergehen. Auch bei ihm ist alles okay. Tanja sackt vor Erleichterung in die Knie. »0 Gott«, stöhnt sie und lehnt sich gegen Meteor. Sie steht wohl immer noch unter Schock.
»Ist doch alles gut«, sage ich und streiche Damos über seine Flanken. Entweder er hasst mich jetzt und duldet mich nie wieder auf seinem Rücken oder wir überstehen jedes Turnier. Ich lasse es drauf ankommen und ziehe mich noch einmal unter Schmerzen hoch. Er spannt sich an, bleibt aber stehen und wartet auf meine Hilfen. Er ist mir nicht böse. Jetzt bin ich derjenige, dem das Wasser in den Augen steht. Ich drücke mein Gesicht in Damos’ Mähne, damit Tanja nicht sieht, dass ich gleich zu heulen anfange.
»Guck mal, die grillen schon!«, sagt sie und zeigt rüber zur Hütte. Rauch steigt auf und es riecht verführerisch nach gegrilltem Fleisch.
»Sollen wir uns heute mit dazusetzen? Und ganz normal ins Bett gehen? Und nachts schlafen?«
»0 ja, bitte. Ganz normal«, lächelt sie.
Heute Abend bin ich endlich mal dabei. Kein Zaungast, sondern mittendrin. Die Schmerzen in meinem Arm versuche ich einfach zu ignorieren. Ich lasse mich sogar hinreißen, bei den Lagerfeuer-Liedern mitzusummen. Ich habe mit Appetit gegessen und trotzdem nicht viel herunterbekommen, weil mein Magen kleine Hüpfer macht, wenn ich Tanja anschaue. Immer wieder muss ich sie ansehen, weil ich ihr Lachen noch nicht kenne. Sie hat eine kleine Lücke zwischen ihren beiden Schneidezähnen. Und ihre Nase wird kraus, wenn sie lacht.
Toni foppt und ärgert mich, seit wir vom Felsplateau weggegangen sind, in einem fort. Wie sehr ich doch jemanden hassen muss, um sein Pferd zu retten. Wie abscheulich sie sein muss für mich. Damit ich sogar klaue wegen ihr. Nachts in Planwagen einbreche. Mein Hass wäre ja gar nicht in Worte zu fassen. Ich lasse ihn reden. Er ist ein wenig eifersüchtig, aber zufrieden.
Die Wolken haben sich vollends verzogen. Der Nachthimmel ist übersät von Sternen und ein
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