Sturmtief
verstand Lüder ihn, nachdem er kurz zuvor
Alex und seinen Kumpanen begegnet war. In diesem Ghetto herrschten die Gesetze
der Straße. Lüder und die Polizisten vertraten aber das Recht. Deshalb würde
der Fund auch für den jungen Mann ein Nachspiel haben.
»Wie oft haben Sie schon solche Dinge ausgeführt?«,
fragte Lüder.
Mirkovic sackte in sich zusammen. Mit einer Mischung
aus Scham und Angst blickte er reihum, versuchte in den Mienen der Polizisten
zu lesen und die Reaktion seiner Familie zu ergründen.
»Noch nie«, sagte er mit kläglicher Stimme. »Wirklich.
Ich habe noch nie etwas Unrechtes getan. Ich schäme mich so.« Dann schluckte er
und senkte seinen Kopf auf die Brust. Lüder sah dem Mann an, dass er gern sein
Gesicht in den Händen verborgen hätte. Mirkovic war nicht der Typ des
Terroristen, des eiskalten Bombenlegers. Man hatte ihn für dieses Vorhaben
missbraucht. Das war offenkundig. Zu gern hätte Lüder dem Mann die Handfesseln
abgenommen. Aber das war gegen die Regeln.
Für lausige dreihundert Euro hatte der arme Wicht
nicht nur seine Seele, sondern auch seinen Leumund verkauft.
»Wer hat Sie beauftragt, den Gegenstand im
Hilfskesselhaus zu platzieren?«, fragte Lüder.
Mirkovic sah auf. Lüder glaubte, einen feuchten
Schimmer in seinen Augen zu erkennen.
»Ich weiß es nicht«, antwortete der Mann. Es klang
überzeugend. »Ein Fremder.«
»Wie ist er auf Sie gekommen?« Die Aussage »ein
Fremder« klang immer unglaubwürdig.
»Er hat mich in Bergedorf angesprochen und gefragt, ob
ich in Krümmel arbeiten würde.«
»Wie kommt ein Unbekannter darauf, Sie in Bergedorf
anzusprechen? Irgendwie muss er Sie kennen.«
»Vielleicht hat er mich vor dem Atomkraftwerk
beobachtet«, mutmaßte Mirkovic. »Ich habe keine Ahnung. Wirklich.«
»Und da hat er Ihnen das Geld gegeben und gesagt, Sie
sollen die Bombe im Kesselhaus zünden?«
»Bombe?« Mirkovic fuhr kerzengerade in die Höhe. »Das
war doch keine Bombe!«
»Doch!«, sagte Lüder. »Aber das klären wir später.«
Mirkovic verfiel in ein Jammern in seiner
Muttersprache, bis schließlich seine Frau mit tränenerstickter Stimme einfiel.
»Nun ist gut«, unterbrach sie der Einsatzleiter nach
einer Weile.
»Er hat mich gefragt, ob ich mir für einen kleinen
Spaß ein Taschengeld verdienen möchte. Er hätte Ärger mit einem Kollegen
gehabt, und dem wollte er eins auswischen.«
»Und Sie haben sich nicht gewundert?«, fragte Lüder.
»Nein«, erwiderte Mirkovic ebenso überrascht wie naiv.
»Wir haben uns ein zweites Mal verabredet. In Bergedorf. Auf der Brücke der
Alten Holstenstraße über die Bille. Da hat mir der Mann das Gerät gegeben,
erklärt, was ich machen soll, und die dreihundert Euro.«
»Wie sah der Mann aus? Wie war er gekleidet? Wie hat
er gesprochen? War es ein Deutscher?«
Im Stillen hoffte Lüder, dass ihm Mirkovic vielleicht
eine Beschreibung liefern könnte.
»Ich habe ein bisschen Zweifel gehabt«, erklärte
Mirkovic plötzlich und merkte nicht, wie er durch diese Bemerkung seine eigene
Position verschlechterte. »Deshalb habe ich meinen Sohn mitgenommen. Der hat
den Mann heimlich fotografiert.«
»Der hat was?«, fragte Lüder erstaunt. So einen
glücklichen Umstand hatte er nicht erwartet.
»Das stimmt«, mischte sich der Junior ein. In
Begleitung eines Beamten ging er in sein Zimmer und kam kurz darauf mit einer Digitalkamera
zurück. Er hantierte an dem Apparat und reichte Lüder das Gerät. »Hier.«
Lüder besah sich das Bild. Es zeigte in Richtung des
historischen Krans auf dem Serrahn und war von der anderen zum Schloss
zeigenden Straßenseite aufgenommen. Über die Brücke hasteten Passanten von der
Fußgängerzone Sachsentor kommend, beladen mit Kindern, Einkaufstüten und
anderen Dingen. Deutlich war zu erkennen, wie der Fremde Mirkovic eine
Plastiktüte aushändigte.
Lüder musste das Bild nicht vergrößern. Er hatte den »Fremden«
erkannt.
»Ich nehme den Speicherchip mit«, erklärte Lüder und
zeigte auf Mirkovic. »Ihn und den Sohn nehmen Sie bitte mit«, sagte Lüder zum
Kommandoführer. »Vom Junior benötigen wir eine Aussage über die Aktion auf der
Brücke. Der Senior wird erkennungsdienstlich behandelt, die Aussage zu
Protokoll genommen, und dann nehmen wir ihn vorübergehend in Gewahrsam.«
»Geht in Ordnung«, nickte der Kommandoführer. »Kommen
Sie«, sagte er zu Mirkovic. Widerstandslos ließ sich der Mann mit der
leichenblassen Gesichtsfarbe abführen.
»Verständigen
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