Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
ein Befehl.«
Jetzt regte der Maestre sich wieder, schob langsam einen Arm aus dem Mantel und salutierte umständlich. »Aye, aye, Thay.«
Als sich Roxane zu Jaquento umdrehte, bemerkte sie, wie er versuchte, Sinosh von seiner Schulter zu nehmen, aber die kleine Echse entwischte ihm immer wieder und sprang hinter seinem Kopf hin und her.
»Das denke ich nicht«, murmelte der junge Hiscadi, um dann streng zu sagen: »Du bleibst hier!«
»Was denken Sie nicht?«, erkundigte sich Roxane.
Überrascht sah Jaquento sie an und stellte seine Bemühungen ein. Mit den hinter seinem Kopf erhobenen Händen und dem fragenden Blick wirkte er so verwirrt und wie ein Junge, den man bei einem Streich ertappt, dass Roxane beinahe gekichert hätte.
»Ich … ich hab nur … Das Mistvieh will nicht von meiner Schulter«, erklärte er halbherzig und senkte die Hände. Plötzlich sprang Sinosh herab und trippelte mit hoch erhobenem Kopf zu Bihrâd, ohne Jaquento noch einmal anzusehen.
»Bemerkenswert«, stellte Roxane fest. »Manchmal fragt man sich, wer von Ihnen beiden wen beherrscht.«
Jaquento warf ihr einen finsteren Blick zu, dann setzte er den Tschako auf und wies in Richtung Stadt.
»Wollen wir?«
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Das Hinterland war fruchtbarer, aber Balcera lag in einer Senke direkt am Meer, und der Küstenweg, dem sie folgten, war hauptsächlich von Felsen geprägt. Weiter im Inland konnten sie einige Felder und Haine erkennen, die von Natursteinmauern eingegrenzt waren. Doch auch sie waren verlassen.
Der Nebel hielt sich noch einige Zeit, wurde aber schließlich vom Wind und der weiter aufsteigenden Sonne vertrieben, obwohl das Gestirn sich hinter einer Wolkendecke verbarg und nur ein trübes Licht spendete. Immerhin sah es nicht nach Regen aus, da die Wolken hoch und hell waren und hier und da sogar Flecken von blauem Himmel sehen ließen.
Je mehr es aufklarte, desto schneller wurden ihre Schritte.
Die Stadt Balcera war einer der wichtigen Kriegshäfen der géronaischen Flotte, die ihn von den Hiscadi übernommen hatte. Hier lagen sicherlich ein Dutzend Linienschiffe der beiden Nationen, stets sorgsam von den Blockadegeschwadern Thaynrics beäugt. Die Stadt verfügte über moderne Befestigungsanlagen:
eine hohe, schräge Mauer mit eckigen Türmen und Geschützbatterien sowie zwei mächtigen Forts mit jeweils drei Türmen, die über dem Hafen thronten und mit ihren schweren Kanonen die Königliche Marine von Thaynric daran hinderten, die vor Anker liegenden Linienschiffe anzugreifen.
Aber was auch immer inmitten der Stadt geschah, die dicken Mauern und hohen Türme hatten es nicht verhindern können.
Ein dumpfer Schlag rollte über die Landschaft, ein schwerer Kanonenschuss.
»Mindestens ein Zweiunddreißigpfünder«, stellte Roxane fest. »Aber warum nur einer?«
Jaquento zuckte mit den Schultern.
Inzwischen bewegten sie sich direkt auf die Stadt zu. Die Küste war an dieser Stelle nicht sehr hoch, die Felsen ragten nur knapp neun oder zehn Fuß über der Wasseroberfläche auf, und immer wieder spritzte zu ihrer Linken die Gischt hoch. Es war windig, wenngleich weitaus weniger als noch am Abend.
»Was hat Euch dazu bewogen, zur Marine zu gehen, Meséra?«, fragte der Hiscadi plötzlich. »Ich vermute, in einen Offiziersrang wird man auch in Thaynric nicht gepresst.« Fast gegen ihren Willen musste sie lachen; die Vorstellung von in den Dienst gezwungenen Kapitänen und Admiralen war einfach unwiderstehlich.
»Nein, wohl nicht. Ich denke, ich wollte einfach ein wenig mehr erleben als die guten Leute in Tolesford. Und außerdem wollte ich wohl auch meine Eltern erschrecken, die mich lieber an der Seite eines Arztes oder Anwaltes gesehen hätten als an Deck eines Schiffes.«
Jaquento lächelte, und sie merkte, wie sie seinen Blick einen Moment länger festhielt, als es notwendig war. »Tolesford,
ja? Das klingt nach einer aufregenden thaynrischen Metropole.«
»Oh, hören Sie auf. Es ist ein kleines Städtchen mit nicht einmal tausend Einwohnern. Dort wird exzellenter Käse hergestellt. Nussig im Geschmack …«
»Ihr seid einen weiten Weg gekommen, Meséra«, entgegnete der junge Hiscadi ernst.
Leicht verlegen, da er seine dunklen Augen nicht von ihrem Gesicht abwandte, blickte Roxane zu Boden.
»Und was hat Sie dazu gebracht, Freibeuter zu werden?«, fragte sie schärfer, als sie beabsichtigt hatte.
Doch anders, als sie erwartet hatte, reagierte Jaquento nicht zornig. »Das hat
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