Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
Hiscadi betrat den Raum, wobei er sich kurz bücken musste, um sich den Kopf nicht am Türrahmen zu stoßen. Hinter ihm schloss Cudden die Tür wieder.
Roxane wies auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch: »Bitte, nehmen Sie Platz. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Wein, wenn es Euch beliebt, Meséra. Wasser hatte ich in letzter Zeit wahrlich genug.«
»Leider habe ich keinen Wein. Lediglich noch Portwein, wenn Ihr damit vorliebnehmen würdet?«
Er antwortete mit einer spöttischen Verneigung. »Gern.«
Sie goss ihm einen großzügigen Schluck ein und reichte ihm das schlichte Glas. Obwohl er von der Gefangenschaft gezeichnet war, nahm er es mit perfekten Manieren entgegen. Auf seinen Wangen wurden die Stoppeln allmählich zum Bart, seine Augen waren eingefallen und von dunklen Ringen umgeben. Seine Haare waren strähnig und nur lose mit einem Band nach hinten gebunden. Dennoch lächelte er, als er das Glas hob.
»Auf die See, Meséra Kapitän.«
Hastig schüttete Roxane sich selbst ein halbes Glas ein und erwiderte den Toast. Der Port war süß, dabei aber doch von kräftigem Geschmack.
»Ich nehme an, dass Sie angemessen behandelt werden? Ich hatte entsprechende Anweisungen gegeben und würde es nicht dulden, falls diese nicht befolgt würden.«
Mit versonnenem Lächeln nahm er noch einen Schluck und blickte dann zur Decke.
»Ihr seid zu großzügig, Meséra. Für Gefangene werden wir sehr gut behandelt«, erklärte Jaquento, dann sah er sie wieder an und rieb sich die Wangen. »Leider gab man mir kein Messer, um diese Stoppeln abzuschaben. Verständlich, in meiner Situation, wenn auch unpraktisch. Ich bin nicht der Mann für einen Bart, wie ich gestehen muss.«
Nein, bist du nicht , dachte Roxane, die unvermittelt daran denken musste, wie ihre Finger über seine Wangen gefahren waren, während um sie herum der Garten des Gouverneurs in abendlicher Pracht erstrahlte. Erzürnt über sich selbst, ballte sie die Rechte zur Faust. Es hätte keinen
unwillkommeneren Moment für diese Erinnerung geben können.
»Vielleicht lässt sich das ändern, aber ich kann Ihnen in einem Punkt nicht widersprechen: Sie werden einige Abstriche bezüglich des Komforts machen müssen. Allerdings habe ich Sie rufen lassen, um über eine andere mögliche Erleichterung Ihrer Haft zu sprechen.«
Er lächelte unverbindlich. »In der Tat?«
»Ja, in der Tat. Nun, da wir auf hoher See sind, erscheint es mir nicht länger nötig, Sie und Ihren Kumpan dauerhaft in der Brig zu belassen. Eine Flucht ist unmöglich, und zu zweit stellen Sie für das Schiff und seine Besatzung kaum eine Gefahr dar.«
Er lachte leise, als würde er ihrer Worte spotten. Zunächst wollte Roxane aufbrausen, doch dann sah sie den Schmerz in seinem Blick. Er lachte nicht über sie, sondern über sich. Dennoch blieb das Lächeln wie ein Hohn auf seinen Lippen.
»Wenn Ihr es wünscht, kann ich Euch mein Ehrenwort geben und für Bihrâd bürgen, dessen Wort als Maureske Euch vermutlich wenig bedeutet.«
»Nein«, erwiderte sie kühl. »Nach allem, was geschehen ist, schätze ich sein Wort höher als das Ihre, Jaquento.«
Jetzt verging ihm sein Lächeln. »Ich wollte Euch nicht unterbrechen. Verzeiht, Meséra«, entgegnete er ebenso kalt.
Roxane benötigte einige Sekunden, um ihre Gedanken zu sammeln. Wie schafft er es, mich einfach so wütend zu machen ? Sie schluckte Ihren Zorn hinunter und bemühte sich um einen neutralen Tonfall, als sie fortfuhr: »Ich denke, dass ich Ihnen beiden einige Zeit an Deck erlauben kann. Natürlich unter Bewachung durch die Marinesoldaten und so lange es hell ist. Sie können die Zeit unter sich nach Belieben aufteilen. Ich werde Leutnant Cudden anweisen, sich um die Details zu kümmern, dann können Sie alles Weitere mit ihm besprechen.«
Sie blickte ihn herausfordernd an und wartete auf eine weitere seiner respektlosen Bemerkungen. Stattdessen senkte er das Haupt.
»Vielen Dank, Kapitän. Ich, nein, wir wissen Eure Großzügigkeit zu schätzen.«
Sie sah diese Dankbarkeit wirklich in seinen Augen, aber da war noch mehr, was sie nicht einschätzen konnte. Sein Blick fuhr ihr durch den ganzen Leib, und sie konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Bevor sie sich sammeln konnte, klopfte es erneut an der Tür. Unwillig rief sie: »Ja?«
Die Tür wurde aufgerissen, dann trat Tola Levman ruhig herein. Noch vor wenigen Wochen wäre sie nervös und aufgeregt gewesen, doch jetzt salutierte sie scheinbar gelassen,
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