Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
Darum können wir uns sorgen, wenn wir mehr wissen.«
Heuchler, dachte der Poet, du sorgst dich schon seit langem darum, nur teilst du dein Wissen nicht mit mir.
Die Kutschfahrt wurde nun angenehmer, denn die Straßen waren besser, die Löcher seltener und der Staub weniger. Langsam senkte sich der Abend herab. Die Sonne stand nur noch eine Handbreit über dem Horizont, die Schatten wurden lang, und der Himmel färbte sich im Westen zart rosarot. Franigo starrte aus dem Fenster und hing seinen Gedanken nach, wie so oft auf der Reise. Seine Augen nahmen das Schauspiel des Sonnenuntergangs kaum wahr, das sich vor ihm in all seiner Glorie entfaltete.
Erst als ein Vogel mit gewaltiger Flügelspannweite vor den
fantastisch gefärbten Wolken seine Kreise zog, kehrte seine Aufmerksamkeit zurück.
»Das ist aber ein großer Vogel«, murmelte er, während er den dunklen Schatten vor dem hellen Himmel genauer ansah. Irgendetwas stimmte nicht, aber er konnte nicht den Finger darauf legen.
Maecan war durch seine Worte aufmerksam geworden und schaute nun auch aus dem Fenster. Mit einem Mal grinste der Alte breit und schlug mit dem Stock gegen das Dach der Kutsche. Die Kutscher interpretierten das Signal richtig, und das Gefährt wurde langsamer.
»Was ist denn?«, erkundigte sich Franigo, aber Maecans Antwort war wie üblich wenig hilfreich: »Unsere Reise muss kurz unterbrochen werden.«
Bevor Franigo weiter fragen konnte, sprang der Alte aus der Kutsche und ließ den Poeten ratlos zurück. Von draußen drangen die Fetzen eines Gesprächs zu ihm herein, und schließlich beschloss er, sich ebenfalls die Beine zu vertreten, packte seinen Schwertgürtel und stieg aus.
Draußen fand er Maecan, der mit dem älteren der beiden Kutscher diskutierte. Der andere, ein jüngerer Bursche mit wildem schwarzem Haar, starrte zum Horizont, wo noch die Hälfe der Sonne über dem Land aufragte.
»Machen wir lange Rast?«
Maecan ignorierte die Frage, während er auf den Kutscher einredete. Der deutete immer wieder die Straße entlang und machte mit den Armen Bewegungen, die Franigo nur als ablehnend deuten konnte. Das Gespräch wurde lauter und hektischer, bis Maecan schließlich zornig die Hände hochriss und sich abwandte.
Ohne auf Franigos Fragen und das Schimpfen des Kutschers zu achten, lief er einige Meter von der Straße weg – und schlug mit seinem Stock fest auf den Boden. Ein lauter
Knall ertönte, Staub wirbelte auf, und für einen Moment gab es ein so helles Leuchten, dass der Poet die Augen abwenden musste. Helle Flecken tanzten in seinem Sichtfeld, und er fluchte. Zornig rieb er sich die schmerzenden Augen und blinzelte mehrfach, bis er langsam wieder sehen konnte.
»Was sollte das?«, knurrte er, aber Maecan gab keine Antwort, sondern blickte angestrengt in Richtung Sonnenuntergang.
Sind denn jetzt alle verrückt geworden?, dachte Franigo. Was gibt es denn da schon zu sehen. Zugegeben, der Himmel ist hübsch, aber …
Dieser Vogel ist wirklich ungewöhnlich groß. Das Tier schien nun in ihre Richtung zu fliegen, und mit jedem Schlag seiner Flügel wurde es noch größer. Unglaublich groß!
Fasziniert starrte Franigo zum Himmel, bis er hinter sich lautes Geschrei hörte. Er drehte sich um und sah, wie die beiden Kutscher von dem Gefährt sprangen und querfeldein davonliefen.
Da erst begriff sein Verstand, was seine Augen ihm mitteilen wollten: Der Vogel war gar kein Vogel. Er war auch nicht unglaublich groß, er war riesig. Und er war ein Drache. Eine geschuppte Kreatur mit einem langgestreckten Hals, ledrigen Schwingen und einem Kopf, der von Hörnern geziert wurde, flog direkt auf sie zu!
»Die Einheit steh uns bei«, hauchte Franigo, und zu seiner eigenen Überraschung zog er den Degen. Angesichts des Wesens, das direkt auf sie zuhielt, war das eine nachgerade alberne Geste, dessen war er sich bewusst, aber dennoch erfreute sich ein – zugegebenermaßen kleiner – Teil von ihm daran, dass er erst seine Waffe gezogen und dann weiche Knie bekommen hatte.
»Maecan, wir müssen weg!«, rief er. »Maecan!«
Doch der alte Mann rührte sich nicht, sondern blieb regungslos stehen, als sei der Drache nicht mehr als ein Schwarm Tauben.
Franigo wusste, dass wenigstens er selbst davonlaufen sollte, aber er konnte sich nicht bewegen. Als sei er von der Bestie hypnotisiert, harrte auch er aus, ohne den Blick von dem Drachen nehmen zu können. Seine Finger schlossen sich so fest um das Heft seiner Waffe, dass die Knöchel
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