Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
dem Magistrat etwas ins Ohr, woraufhin dieser wissend lächelte – kein schöner Anblick, wie Franigo fand.
»Ach ja, dieser Drucker, in dessen Werkstatt das Machwerk gesetzt und hergestellt wurde. Die Verhöre dauern noch an, aber ich bin sicher, dass er mit den Hintermännern der Gegenrevolution sympathisiert. Ein gerissener Bursche, der seine Unschuld beteuert, doch er hat vorher für die géronaischen
Bastarde gearbeitet.« Er machte eine kleine Pause und tippte sich dabei mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe. »Was, sagtet Ihr noch gleich, ist die Profession Eures jungen Begleiters?«
Franigo spürte, wie sich Inxi neben ihm anspannte, also sprach er hastig, bevor der Junge eine Dummheit begehen konnte.
»Ich bin nur wegen Alserras hier, Mesér. Wenn Ihr die Güte besäßet, seinen Fall noch einmal zu überdenken, wäre ich Euch verbunden.«
»Nein.«
»Nein?«, wiederholte der Poet verblüfft. Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit.
»Nein. Eine Woche in Haft ist genau das Richtige für ihn. Das wird ihn Achtung lehren.«
»Mesér, ich muss doch sehr bitten! Ich bin Franigo …«
»Es ist mir egal, wer Ihr seid. Hier in diesem Büro seid Ihr nur ein einfacher Bürger wie jeder andere auch. Einen Mann, der sich für besser hält als den Rest des Volkes, kann ich nicht in meiner Gegenwart dulden. Und Euer Bittgesuch wurde abgelehnt. Ich wünsche Euch noch einen guten Tag!«
»Ihr seid unangemessen unhöflich, Mesér. Meine Bitte ist weder ungehörig noch unpassend.«
»Dennoch lehne ich sie ab, was mein gutes Recht ist.«
Die beiden Männer funkelten sich an, dann nickte Franigo steif und setzte seinen Hut wieder auf. Er ergriff Inxi am Ärmel und schob den jungen Mann, dessen Gesicht völliges Unverständnis ausdrückte, zur Tür.
»Damit ist die Sache noch nicht vorbei«, erklärte er im Gehen.
»Oh doch«, hörte Franigo den Magistrat süffisant sagen, als er dessen Büro verließ.
JAQUENTO
Jaquento lief über eine spiegelglatte, ebene Fläche, einen zugefrorenen See vielleicht oder das vereiste Meer, das war in dem Dunst, der ihn umgab, nur schwer zu erkennen. Hinter sich nahm er ein mächtiges Flügelrauschen wahr, und er wollte sich umdrehen, wollte erfahren, was es war, was ihn verfolgte, denn er wusste, dass kein bekannter Schrecken so furchtbar sein konnte wie das Unbekannte. Doch es war, als würden seine Füße auf dem weiß glänzenden Untergrund nur in eine Richtung gezogen, und es war ihm unmöglich, zu wenden.
Die Landschaft um ihn herum veränderte sich schlagartig. Während eben noch die Weite des vereisten Sees im Zwielicht vor ihm gelegen hatte, lief er nun durch enge, dunkle Gassen und Häuserschluchten. Doch die gewaltigen Flügelschläge verfolgten ihn noch immer.
Er erreichte eine Treppe, jagte sie mit wildem Herzschlag hinauf, erreichte das Dach. Ein anderer Mann stand schon dort, an die Brüstung gelehnt, wartete auf ihn. Das Flügelschlagen wurde lauter, und das Rauschen hüllte Jaquento, der schneller lief als je zuvor in seinem Leben, völlig ein. Eine dunkle Klaue schoss vor und traf den anderen Mann, der rücklings vom Dach stürzte. Erst im Fallen sah Jaquento das Gesicht des anderen. Chavias.
Als der Hiscadi aus dem Schlaf aufschreckte, sah er ebenfalls ein Gesicht vor sich, wenn auch ein völlig anderes als das in seinem Traum. Und es war viel zu nah für seinen Geschmack. Fast automatisch fuhr seine Hand an seine Hüfte – und fand dort nichts. Keine eigenen Waffen an Bord von Kriegsschiffen, fuhr es ihm durch den Kopf. Ich hätte zumindest das Messer nicht zurückgeben sollen. Vielleicht wäre das Gewehr etwas zu auffällig gewesen, aber eine kleine, leichte Klinge …
Direkt neben seiner Hängematte stand ein Seemann, dem das blonde Haar in wilden Strähnen in die Stirn fiel. Er hatte helle Augen und ein breites, freundliches, sonnengebräuntes Gesicht, auf dem man noch einige Sommersprossen erkennen konnte. Jaquento hatte ihn schon auf dem Schiff gesehen, konnte sich aber augenblicklich weder an seine Position noch an seinen Namen erinnern.
»’tschuldigung«, erklärte der Matrose und tippte sich an die Stirn. »Aber ich dachte, dass du vielleicht an Deck kommen solltest.«
»Wieso?« Jaquento war müde. Nach dem Angriff des Seedrachen, der ebenso überraschend gekommen war, wie er schließlich geendet hatte, war die gesamte Besatzung noch eine volle Wache hindurch in Alarmbereitschaft gewesen. Jaquento hatte sich einer der
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