Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
Zweifel.
Jaquentos Hand fiel zum Griff seines Degens, aber er wusste, dass es sinnlos war, eine solche Übermacht angreifen zu wollen, zumal Bihrâd lediglich einen Dolch bei sich trug, und so zog er seine Waffe nicht, sondern hob stattdessen die Hände empor. Ich hab’s dir ja gesagt, schien der Blick aus den Augen des Mauresken zu sagen.
»Schon gut. Wir sind nicht hier, um Ärger zu machen«, erklärte Jaquento ruhig und hoffte, dass die Männer seine Sprache verstanden. »Was ist denn los?«
Der Mann, der sie hierhergeführt hatte, trat vor. Alle Freundlichkeit war nun aus seinem Antlitz verschwunden.
»Ihr seid hier nicht willkommen.«
»Das sehe ich, aber …«
Er wurde rüde unterbrochen: »Schweig!«
Jaquento nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Einer der Bewaffneten redete in der schnellen Sprache auf den Führer ein, der mit vor Zorn verzerrtem Gesicht zuhörte.
Gerade als Jaquento fragen wollte, was sie nun tun sollten, nahm er eine Bewegung auf dem Dach des Hauses wahr.
Ein goldenes Wesen sprang über die Kante, breitete die Schwingen aus und glitt auf winzigen Flügeln herab. Es dauerte einen Moment, bis Jaquento begriff, was er dort sah.
»Sinosh!«, rief er laut.
Weniger elegant als kräftig landete die kleine Echse auf seiner Schulter, und er verzog das Gesicht, als sich die wohlvertrauten kleinen Krallen durch den Stoff seines Hemdes und in seine Haut bohrten.
Die werden dich umbringen!, wisperte das Wesen in seine Gedanken.
Mit diesen Worten richtete sich Sinosh auf seiner Schulter auf, entfaltete seine Flügel, hob den Kopf und spreizte den ledrigen Kragen. Rote Muster brandeten über seinen Leib, färbten das Gold blutig. Ein dunkles, kaum vernehmbares Zischen ertönte.
Zu Jaquentos Überraschung wichen die Männer vor Sinosh zurück. Noch überraschender war, dass unvermittelt weitere Männer durch das Hoftor gestürmt kamen. Männer, dem Aussehen nach Corbaner, mit Musketen und Pistolen in den Händen, mit scharfen Klingen und Beilen. Was zum Henker ist hier eigentlich los?, dachte er in Richtung der kleinen Echse, erhielt aber keine Antwort.
Die Einheimischen wandten sich um und liefen wie auf ein unhörbares Kommando in das Gebäude, während Sinosh wieder auf Jaquentos Schulter zusammensank und das Rot seiner Schuppen verblasste.
»Hinter ihnen her!«
Verwirrt blickte Jaquento den Sprecher an.
»Sean?«
Der Seemann trug nun die einfache Kleidung der hiesigen Stadtbewohner. Er hielt eine Pistole in der einen und ein Entermesser in der anderen Hand, und seine Befehle wurden sofort befolgt.
Als er sah, dass die Einheimischen in das Haus stürmten, nickte er Jaquento freundlich zu.
»Eben der.«
»Was bei allen Geistern der Tiefe geht hier vor?«
»Darüber reden wir später, Kumpel.« Die Mündung der Pistole richtete sich auf Jaquentos Gesicht. »Jetzt erzählst du mir erst einmal alles, was du über die Todsünde weißt.«
SINAO
»Vorsicht! Dingao! «
»Leise«, zischte Manoel zurück, ohne zu beachten, dass sie ihn gerade einen Dummkopf genannt hatte.
»Du stehst auf meiner Hand«, erwiderte Sinao ärgerlich, aber tatsächlich leiser. Als Manoel den Fuß etwas anhob, zog Sinao die Hand zurück und betrachtete ihre schmerzenden Finger, die bereits rot wurden. »Pass doch auf!«
»Sei leise, verdammt nochmal. Wenn uns jemand hört, landen wir im Gefängnis.«
Vorsichtig blickte Sinao sich um. Sie befanden sich im Garten eines hoch gelegenen Anwesens in Lessan, umgeben von grünen Blättern und Blüten in allen Farben des Regenbogens. Manoel balancierte über ihr auf dem Ast eines Kapokbaums, bereit, sich höher zu schwingen, während Sinao eben dabei war, sich auf den nächstgelegenen Ast zu ziehen.
»Bist du sicher, dass hier wirklich keine Soldaten sind?«
»Klar bin ich das. Die stehen nur vorn am Tor, in ihren dämlichen kleinen Hütten.«
Auch wenn der Maestre im Brustton der Überzeugung sprach, fiel es Sinao schwer, ihm zu glauben. Sie konnte sich zu gut an Hequia erinnern, wo es überall Wachen gegeben hatte. Soldaten in den grünen Uniformen der Compagnie oder, schlimmer noch, Tangyes Aufseher. Und die Insel hatte
noch nicht einmal Thaynric gehört, sondern der Compagnie. Und hier wurde immerhin ein wichtiger Mann wie Thyrane festgehalten, da musste es doch mehr Wachen geben! Aber so angestrengt sie sich auch umsah, sie konnte tatsächlich niemanden entdecken.
»Drinnen wird es wohl Soldaten geben«, wisperte Manoel. »Aber die Thayns sind
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