Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
Adjutant von Admiral Daunce.«
»Es tut mir leid, Thay, aber auf diese Distanz werde ich auf einen stofflichen Anker zurückgreifen müssen; wir können nur Maestra Askell erreichen.« Lamworth warf einen Blick auf Manoel, der sich übertrieben die Seite rieb. »Wenn wir überhaupt durchdringen.«
»Dann fangen Sie an, Thay.«
»Aye, aye. Wenn etwas Ungewöhnliches geschieht, bleiben Sie bitte außerhalb des Kreises«, sagte Lamworth, und Thyrane trat hastig einen Schritt zurück, als müsse er bereits jetzt einen magischen Unfall befürchten.
Manoel wechselte scheinbar mühelos wieder vom schwerfälligen Dialekt der Inseln zu der viel förmlicher klingenden Sprache der Corbaner. »Falls mir etwas Ungewöhnliches geschieht, können Sie mich ruhig hier herausholen«, stichelte er, blickte dann aber zur Seite, als Sinao ihm einen zornigen Blick zuwarf.
»Fangen wir an«, sagte Lamworth bedeutungsschwer. Er griff in die Tasche seines Uniformrocks. Als er seine Hand wieder hervorzog, befand sich zwischen seinen Fingern eine kleine Kugel, schwarzgrau wie eine Perle. Er hob sie vorsichtig hoch, dann öffnete er den Mund und schob sich die Kugel zwischen die Lippen.
»Dauert nicht lang, bis der Traumstaub wirkt, Sin. Mach mir einfach alles nach. Wir müssen uns für die Vigoris öffnen und sie seinem Zauber zuführen.«
Sinao nickte nervös. Lamworth schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und faltete die Hände in seinem Schoß. Zwischen seinen Fingern sah Sinao einige blonde Haare. Jetzt wirkte der Maestre nicht so aufgeblasen, sondern wie ein echter Meister seiner Kunst.
Um sie herum geschah etwas. Vigoris strömte aus Lamworth heraus, umspülte den Bordmaestre, breitete sich langsam aus. Auch Manoel schloss die Augen, und Sinao tat es ihm gleich. Sie musste nichts sehen, um den Fluss der Vigoris um sie herum zu spüren. Lamworth sammelte das Mojo um sich, gab der Energie aber noch keine konkrete Form, sondern leitete immer mehr in die wirbelnde Wolke gestaltloser Magie. Manoel machte neben ihr dasselbe, und auch Sinao öffnete die Pforte in ihrem Herzen, ganz behutsam, und sandte die hindurchströmende Vigoris aus sich heraus. Immer mehr weitete sich die Wolke aus, umfasste sie bald alle drei. Der Sog wurde stärker, und Sinao gab ihm ein Stück weit nach, ließ mehr Vigoris durch sich hindurch. Die Härchen auf ihren Armen richteten sich auf, und das Gefühl der Macht, die heiß und kalt durch ihre Glieder strich, raubte ihr den Atem.
Neben sich hörte sie Manoel keuchen, und Lamworth murmelte leise: »Eins, zwei … gleich … jetzt.«
Endlich zwang er die Vigoris in eine Form, und die Wolke floss durch seine Hände und von dort aus weiter und weiter,
wurde länger und dünner, raste davon, fort vom Schiff, bis zum Horizont – und darüber hinaus.
Sinao gab ihre Kraft dazu, öffnete sich mehr für den Zauber. Schweiß lief ihr die Schläfen herab, aber ihr Körper war nun unwichtig. Nur die Konzentration zählte.
Und dann riss der Sog sie mit. Ihr Geist wurde erfasst, von der Vigoris gepackt, verfing sich im Strudel der Macht. Die Welt fiel zurück, ihr Körper war weit entfernt, immer weiter, und Sinao flog im Strom der Vigoris. Sie wollte schreien, ob vor Lust oder Angst, konnte sie nicht sagen, aber sie konnte nichts tun.
Unvermittelt wurde es still um sie. Der Strom ergoss sich in etwas, was sie nicht mit ihren Sinnen wahrnehmen konnte. Es war aus reiner Vigoris, ein diffuses, alles umgebendes Geflecht, so zart, dass man die einzelnen Fäden kaum erkennen konnte. Sie war hier angelangt, ohne zu wissen, wie. Und sie war nicht allein.
»Maestra Askell?«
»N… nein.« Sie sprach nicht mit einem Mund, denn sie hatte hier weder Lippen noch Zunge. Sie war nur Geist. Sie wollte sprechen, und sie hörte ihre eigenen Gedanken so klar, als rufe sie laut. Und die andere Stimme war ebenfalls leicht zu erkennen: Es war Maestre Lamworth.
»Sinao? Bist du das? Das ist … außergewöhnlich. Wie bist du mir gefolgt? Das sollte ohne Traumstaub nicht möglich sein.«
»Ich … ich weiß es nicht. Ich wollte es nicht, aber plötzlich war ich hier. Wo sind wir?«
Sie versuchte, mehr wahrzunehmen, konzentrierte sich auf ihre Umgebung, und da bemerkte sie den Bordmaestre. Nicht mehr seinen großen, schweren Körper, sondern seinen Geist, wie ein nicht greifbarer Schemen im Nebel, fast gänzlich ohne Form, aber nur fast.
»Mit wem spreche ich?«, erklang plötzlich eine dritte Stimme, schneidend und
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