Sturmwind der Liebe
Ihnen Whisky über den Kopf schüttete.«
»Lassen Sie mich jetzt los?«
»In Ordnung. Aber rennen Sie nicht weg!«
Er ließ sie los, und sie drehte sich vorsichtig um. »Können wir jetzt gehen?«
Er nickte und paßte sich beim Gehen ihrem kürzeren Schritt an.
»Und was wollen Sie jetzt tun?«
»In welcher Hinsicht?«
»Fragen Sie doch nicht so dumm!«
»Ich habe mich noch nicht entschieden. Ich glaube wirklich, mit dem Whisky habe ich es etwas übertrieben.«
Sie überging die zweite Bemerkung. »Werden Sie wenigstens mit meinem Vater sprechen? Werden Sie die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen mit uns wenigstens in Betracht ziehen?«
»Geschäftsbeziehungen mit einer Göre, die sich als Mann verkleidet?«
Sie wurde steif wie ein Ladestock, hielt aber zu Alecs Überraschung ihr Temperament im Zügel. »In der Werft muß ich mich so anziehen. Es ist zu schwierig, da in Röcken herumzuturnen. Außerdem sehen mich, wenn ich Röcke trage, die Männer dort mit ganz anderen Augen an. Ich will, daß sie in mir den Boß sehen und nicht irgendein Weibsstück, nicht – einen Gebrauchsgegenstand, für den Sie eine Frau ansehen.«
»Sie sind doch als die exzentrische Miß Paxton bekannt, nicht wahr?«
»Ich habe keine Ahnung, was die Leute über mich reden. Ich gehe nicht viel aus.«
»Und Sie sind dreiundzwanzig?«
»Ja, eine alte Jungfer, über den ersten Frühling hinaus, in Torschlußpanik …«
»Ich wußte gar nicht, daß junge Frauen gleich so kleinmütig werden, wenn es ihnen nicht gleich in der frühen Jugend gelingt, einen Ehemann zu finden. Ist Ihnen das auch nicht gelungen?«
»Nicht gelungen? Einen Ehemann zu finden? Ich würde mir einen Mann, der mir mit seinem kleinen Geist den Hof machen will, mit der Zaunlatte vom Leibe halten. Es sind doch alle nur kleine Tyrannen und betrachten die Frauen als Sklavinnen, die sich über geistlose Scherze vor Lachen ausschütten und sie mit Lobesreden überhäufen sollen, wenn sie es mal geschafft haben, ein Geschäft zufriedenstellend abzuschließen.«
Alec grinste. »Also, das ist ja geradezu Musik in meinen Ohren, abgesehen von der Bemerkung über den kleinen Tyrannen.«
»Sie waren doch verheiratet! Ich wette, Ihre Frau hätte mir recht gegeben.«
»Ich glaube nicht, daß Nesta Ihnen auch nur in einem Punkt recht gegeben hätte.«
Er sagte das in durchaus liebenswürdigem Ton. Doch Gennys Ohr war in allem, was ihn betraf, mittlerweile geschärft. Und so hörte sie heraus, daß er tief verletzt war. »Entschuldigen Sie, das hätte ich nicht sagen sollen.«
»Nein. Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Eugenia.«
»Ich werde allgemein Genny genannt.«
»Genauso wie Ihre Schwester, Genny?«
Sie gab keine Antwort.
»Na schön, Genny«, sagte er. »Sie können weiterhin Alec zu mir sagen. Hatten Sie denn noch nie einen nackten Mann gesehen?«
»Sie sind schamlos! Der Mann war widerlich, und außerdem war er so alt, daß er mein Vater hätte sein können …«
»Ja, das stimmt leider. Ihr erster nackter Mann hätte jung und kräftig sein sollen.«
»So wie Sie, nehme ich an. Ich kann mich aber noch erinnern, daß ich Sie dazu aufgefordert habe. Sie waren nur zu feige dazu.«
»Da haben Sie allerdings recht. Außerdem wollte ich Ihr Gesicht sehen, wenn ich meine Kommentare über die Schau abgab. Irgendwie widerstrebte es mir auch, Sie zusehen zu lassen, wenn ich mit einer Hure ins Bett ging. Es war also Ihr erster nackter Mann, nicht wahr? Und er war mit einem wunderbar jungen Mädchen zusammen, das wahrscheinlich jünger war als Sie. Ja, das ist der Lauf der Welt, Genny.«
»Es ist genauso, wie ich sage. Ihr seid alle Schweine und Tyrannen und Egoisten.«
Er wischte das mit einer Handbewegung beiseite, strich sich übers Kinn und sagte: »Aber was zum Teufel sollten wir denn jetzt tun?«
Mary Abercrombie in der Hanover Street war eine der führenden Damenschneiderinnen – Spezialität Mantuaseide – von Baltimore. Das heißt, eigentlich war es ihre Schwester Abigail. Mary war nur ihre Assistentin. Doch kannte auch Mary sich gut im Bekleidungsgeschäft aus. Schon als neunjähriges Kind hatte sie gewußt, wie man reichen Damen Honig ums Maul schmiert. Sie erkannte auf den ersten Blick, wenn ein unbedarftes Lämmchen zur Tür hereinkam, dem man das Fell über die Ohren ziehen konnte. Ein Lämmchen, dessen Straßenkleid seit fünf Jahren aus der Mode, im Mieder zu eng und im Rocksaum zu kurz war.
Genny stand mitten im Damensalon Abercrombie
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