Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
weder die Chabenskis noch Ljudmila im Stich lassen. Sie wurde hier gebraucht! Mehr als Robert sie brauchte, zumal die anstehenden Prüfungen ihn ohnehin völlig zu vereinnahmen versprachen. Bei ihren vielfältigen Aufgaben verflog die Zeit bestimmt wie im Fluge. Die Militärs und Politiker sagten, der Krieg sei an Weihnachten, spätestens zu Beginn des neuen Jahres zu Ende, und dann würden sie sich wiedersehen!
23 Heute: Blagoweschtschenski-Brücke
24 (Milch-)Reiskuchen, holländisches Backofengericht
Kapitel 26
Bei St. Quentin, Frankreich,
November 1914
Im Licht des flackernden Feuers abseits des als Ruhestellung dienenden Unterstandes faltete Hannes den Brief von Edith zusammen und schob ihn in seine Brusttasche. Die Sehnsucht in seinem Herzen wurde zu einem heißen, schmerzlichen Flammenmeer, das sogar der Hitze des Feuers Konkurrenz machte. Er wünschte sich, endlich einmal wieder bei seiner Frau zu sein, sie zu küssen, zu berühren, die Nacht mit ihr zu verbringen und am nächsten Morgen das fröhliche Lachen seiner beiden Töchter zu hören.
Mit einer müden Bewegung hob er seine Mütze an, strich sich die Haare aus der Stirn und setzte die Kopfbedeckung wieder auf. Unweit von ihm brüllte jemand harsche Befehle, und das gleichmäßige Aufsetzen marschierender Soldatenstiefel erzeugte ein bedrohliches Geräusch, ganz ähnlich dem Donnern eines Sommergewitters.
In der Dunkelheit stolperte Bubi unbeholfen an ihm vorbei und verschwand im Unterstand. Waldmann hingegen kauerte neben Hannes und warf einige Äste in das fast heruntergebrannte Feuer. Gierig griffen die Flammen nach der neuen Nahrung, loderten einen Moment unter prasselndem Brausen auf, ehe sie zusammenfielen und verhalten weiterknisterten.
»Sind die Rekruten noch nicht angekommen?«, fragte der Spieß und steckte Hannes ein Stück Schokolade zu, an dem dieser genüsslich zu lutschen begann.
»Vielleicht waren sie schlau genug, die Abzweigung zu verfehlen«, gab er nuschelnd zurück.
Waldmann grinste, wobei seine Zähne im flackernden Schein des Feuers an ein Pferdegebiss erinnerten. Er ließ sich neben Hannes auf den kalten Boden fallen und hielt die Hände über die Glutnester am Rand ihres Feuers. »Ruhig heute Abend, nicht?«
Hannes hob den Kopf und versuchte das Schnarchen und Murmeln der Männer im Unterstand auszublenden, ebenso wie das Geräusch der in Richtung Schützengräben marschierenden Füße und das Rollen der Protze, die noch mehr Geschütze an die Front brachten. Dünne Wolkenfetzen hingen am Himmel und zogen träge in Richtung Osten davon, dazwischen blitzten Sterne, weiß und unnahbar, zu ihnen herunter. Hannes glaubte den Ruf eines Nachtvogels zu hören. Aber vielleicht war es auch nur der unterdrückte Schmerzensschrei eines Soldaten, der von Sanitätern vorbeigetragen wurde.
»Sind wir hier richtig?«, unterbrach eine aufgeregt klingende Jungenstimme seine Betrachtungen. Sowohl Hannes als auch Waldmann senkten die Köpfe, um rund 20 Burschen in neuen Uniformen zu mustern, die sich in einer Reihe vor ihnen aufstellten.
»Paris, da lang«, Waldmann deutete unbestimmt an Hannes’ Kopf vorbei. »London hier und Rom dort!«
Der Junge, der sie angesprochen hatte, grinste und nannte die Zugnummer und Hannes’ Namen.
»Hm, Leutnant Hans Meindorff? Nie gehört«, meinte Waldmann prompt und schaute Hannes fragend an, der scheinbar desinteressiert mit der Schulter zuckte. »Oder wartet! Da gab es mal einen, der hieß so ähnlich. Ein furchtloser Bursche. Als die Froschfresser ihn am Arsch hatten, tanzte er auf dem Schlachtfeld einen Cancan . Er wirbelte einen imaginären Rock herum und verdrehte den Typen so die Köpfe, dass sie vergaßen, auf ihn zu schießen.«
Hannes sah in ungläubige und verwirrt dreinblickende Gesichter mit offenen Mündern. Nur der Sprecher der Gruppe trug weiterhin sein fast kindliches Grinsen zur Schau, bei dem sich die großzügig über sein Gesicht verteilten Sommersprossen wie angestoßene Murmeln verschoben. »Die von der Frontleitstelle sagten uns, wir finden hier den Zug, dem wir zugeteilt sind.«
»Zug?« Waldmann kratzte sich am Kopf. »Also der Zug nach Paris fährt dort ab, und der nach London …«
»Entschuldigen Sie bitte, Herr Feldwebel. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich denke, meine Kameraden und ich suchen uns jetzt im Unterstand ein Nachtlager.« Der Rothaarige mit den Sommersprossen grüßte vorschriftsmäßig, und die Burschen hinter ihm folgten seinem
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