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Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Titel: Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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Sie zu finden. Aber mir bricht der Gedanke, Sie zu verlieren, fast das Herz. Und an meine drei Mädchen mag ich gar nicht denken. Dennoch: Mir und dem Fürsten war immer klar, dass ein so bezauberndes, liebenswertes Mädchen uns eines Tages von jemandem weggeschnappt wird. Allerdings hoffte ich auf einen Landsmann, damit Sie zumindest in unserer Nähe bleiben.«
    Die Fürstin senkte den Kopf, und Anki meinte, Tränen in ihren Augen zu sehen. Ihr Herz zog sich vor Freude und Schmerz zugleich zusammen. Der Gedanke, dass die Frau sie so sehr ins Herz geschlossen haben könnte, dass sie allein bei der Aussicht auf ihren Abschied Tränen vergoss, war ihr nie gekommen. Vielleicht lag ihr Gefühlsausbruch aber auch an ihrer Schwangerschaft. Allerdings empfand auch Anki ein erstes schmerzliches Anzeichen dafür, wie tief ihre Trauer sein würde, wenn sie dieser Familie einmal den Rücken zukehrte.
    War es nicht sinnvoller, das sicher baldige Ende des Krieges in Petrograd abzuwarten, mit der Option, dass Robert nicht im Deutschen Reich blieb, sondern zurückkehrte?
    »Es ist noch nicht entschieden, wo wir leben werden«, versuchte Anki die Frau zu trösten. Als diese den Kopf hob, hatte sie sich zwar wieder unter Kontrolle, doch ihr Gesicht wirkte noch eine Spur fahler als zuvor. »Sie sollten sich hinlegen, Hoheit. Ich habe den Eindruck, Sie sind nicht ganz auf der Höhe.«
    »Es sind die üblichen Probleme in der frühen Schwangerschaft. Aber ich beherzige Ihren Rat.« Mühsam stemmte die Fürstin sich aus dem weichen Sessel.
    Anki sprang ebenfalls auf die Füße. »Nochmals meinen Glückwunsch, Hoheit. Ich freue mich sehr mit Ihrer Familie.«
    »Ich danke Ihnen. Gute Nacht.«
    Anki wartete, bis die Frau die Tür hinter sich geschlossen hatte, ehe sie auf ihren Stuhl zurücksank. Ihre Schultern hoben sich weit, als sie tief durchatmete. Die Ankündigung eines vierten Chabenski-Kindes machte ihr ihre Entscheidung nicht leichter.
    Nachdenklich ließ sie die Augen durch den Raum schweifen, bis sie den grässlichen Schrumpfkopf entdeckte. Schnell senkte sie den Blick und schaute auf Ljudmilas Brief in ihren Händen. Sie öffnete den Umschlag, wobei ihr beim Anblick der zittrigen Schrift und der verschmierten Buchstaben ein heißer Schreck in die Glieder fuhr. Allein das Äußere des Schriftstücks ließ sie vermuten, Ljudmila hätte bei der Niederschrift Tränen vergossen. Ihre Hand bebte, als sie las, dass Rasputin zurückgekehrt war und tatsächlich die Dreistigkeit besessen hatte, Ljudmila um ein Gespräch zu bitten. Die Eltern der Komtess waren auswärts essen gewesen, weshalb ein Bediensteter den Starez eingelassen hatte.
    Ljudmila schrieb, dass sie kurz davorgestanden habe, sich aus dem Fenster zu stürzen, nur um den Mann nicht sehen zu müssen. Doch dann habe sie sich in ihrem Zimmer eingeschlossen, ihr Grammophon laut gestellt und auf die Rückkehr ihrer Eltern gewartet. Als der Graf und seine Frau eintrafen, sei Rasputin schon nicht mehr im Haus gewesen.
    Diese Nachricht, so schrieb Ljudmila, verfasse sie nun, nachdem sie bereits einiges an Beruhigungsmitteln eingenommen habe, aber dennoch nicht schlafen könne. Anki starrte auf die verschwommenen Buchstaben. Sie waren ein einziger Hilfeschrei!
    Betroffen ließ sie die Hand mit dem Brief in ihren Schoß sinken und schloss die Augen. Was konnte sie zu dieser späten Stunde anderes tun, als für einen gnädigen Schlaf und innere Heilung für Ljudmila zu beten? Zum ersten Mal wünschte sie sich, die Chabenskis hätten sich ebenfalls eine Telefonanlage angeschafft. Seufzend stand Anki auf und trat ans Fenster. Die Mojka wälzte sich schwarz durch ihr künstliches Bett und wurde nur hier und da vom goldenen Schein einer Straßenlaterne beleuchtet. Obwohl noch kein Schnee lag, vermittelte diese Oktobernacht eine erste Ahnung von der Totenstarre, die der Stadt im nahenden Winter bevorstand. Die Kanäle würden zufrieren und sogar auf der Großen Neva konnten sich haushohe Eisschollen aufeinandertürmen, während der frostige Atem des Winters Eisblumen an Fensterscheiben malte und die Äste der Bäume und Sträucher in weiße Fabelgestalten verwandelte.
    Anki hegte die Vermutung, dass es in Ljudmilas Herz nicht anders aussah: eisige Kälte, graue Mauern und die Furcht, dass selbst die letzten mühsam erhaltenen Reste von Hoffnung und Liebe in ihr absterben würden.
    In diesem Augenblick fiel Ankis Entscheidung, obwohl es ihr das Herz entzweizureißen drohte. Sie durfte jetzt

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