Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Theodor. Daraufhin verfiel er in Schweigen und starrte grimmig über Hannes hinweg in die Nacht, als erwarte er dort den Teufel persönlich zu sehen.
Auf Hannes’ Stirn entstanden tiefe Falten, als er zu begreifen begann, was Theodor andeutete, aber nicht aussprach. Hatte die Heeresleitung wirklich unausgebildete halbe Kinder in eine wüst tobende Schlacht geworfen?
»Hannes«, sagte sein Freund mit einer Stimme, die wie Metall klang, das über ein Reibeisen gezogen wurde. »Bei Ypern sind ganze Schulklassen ausradiert worden. Es muss Ortschaften im Land geben, in denen wirst du keine männlichen Schüler mehr finden. Ich habe noch nie zuvor ein solches Dahinmeucheln von Kindern gesehen wie in Langemarck.« Dem Adjutanten brach die Stimme und ein verräterisches Glitzern stand in seinen Augen.
Hannes fühlte einen stetig anwachsenden Kloß in seinem Hals und schluckte schwer, ohne das unbehagliche Gefühl nutzloser Frustration loszuwerden. »Was tun wir da nur?«, murmelte er, während Theodor hörbar mit den Zähnen knirschte.
»Wir bezahlen für das, was wir anstrebten … Erinnerst du dich an unsere Kadettenzeit? An unsere fiebrige Begeisterung, wenn es in einer der Kolonien kriselte oder sich die Beziehungen zwischen den Ländern angesichts unbedachter Handlungen verschlechterten? Wir waren heiß darauf, unser Erlerntes einzusetzen! Aber was wussten wir schon? Was wussten die alten Offiziere, die diese armen Schüler ein paar kurze Tage lang auszubilden versuchten, von den neuen Waffen unseres Jahrhunderts?«
In Hannes’ Kopf und Herzen tobte sein eigener Krieg. Theodor und er waren zu Offizieren ausgebildet worden. Es war ihr Krieg! Nicht der dieser Jugendlichen, nicht der von Tausenden Flüchtlingen, die von einem Ort zum anderen flohen mit nichts als einem Handkarren voll Habseligkeiten. Er hatte Ruhm und Anerkennung ernten wollen, schuf aber nichts als Tod, Trauer und Verwüstung. Passend zu seiner düsteren Stimmung begann es zu tröpfeln.
»Hannes?«
Er hob den Kopf, um in das nun wieder beherrschte Gesicht seines Freundes zu blicken. » Ich habe mich dafür eingesetzt, dass ein Teil der frischen Landser zu dir kommt. Du bist ein besonnener, umsichtiger Zugführer. Du wirst auf sie achtgeben!«
»Diese Neulinge gehören nicht gemeinschaftlich eingesetzt, sondern sollten in verschiedene Züge aufgeteilt werden, damit erfahrene Soldaten sie unterweisen!«
»Das wäre sinnvoll, wird aber so nicht gehandhabt. Zumindest bei einem Teil dieser Jungs konnten mein Vorgesetzter und ich dafür sorgen, dass sie einem fähigen Leutnant zugewiesen wurden.«
Hannes blies wenig begeistert die Wangen auf. Er spürte kein Hochgefühl über das Lob seines Freundes, sondern nur Schmerz, denn er ahnte, dass mit jedem jungen Burschen, der fiel, auch ein Teil von ihm sterben würde. Und was blieb dann am Ende von ihm übrig? Seit Wochen spürte er, wie die unbeschwerte Lebensfreude, die seine Freunde früher an ihm geschätzt hatten, wie Sand vom Wind davongeblasen wurde; einem Sturmwind, der sich Verzweiflung und Überforderung nannte.
Stille senkte sich über die beiden Männer. Sie wurde lediglich vom Gelächter und Gemurmel aus dem Kasino, den Schritten vorbeischlendernder Soldaten und einem ungleichmäßigen Poltern unterbrochen, da man in der Nähe Kisten umlud.
Es war Theodor, der das Schweigen brach: »Ich war bei Demy.«
Überrascht und dankbar für das leichtere Gesprächsthema hob Hannes den Kopf und musterte seinen Freund, soweit das im Zwielicht der Kasinofenster möglich war. »Geht es ihr gut?«
»Ich fürchte nicht. Aber sie ist schwer zu durchschauen.«
»Konntest du herausfinden, was es mit dieser Verlobung auf sich hat?«
»Ich wagte nicht, mich explizit danach zu erkundigen. Jedoch gewann ich den Eindruck, dass sie sich mit diesem Schritt vor noch Schlimmerem schützen wollte. Aus diesem Verdacht heraus bot ich ihr meinen Schutz an. Edith bestätigte mir später meine Vermutung, dass auch diese Verlobung, wie damals die mit dir …«
Hannes fuhr in die Höhe. Beinahe wäre das Zweirad unter ihm umgekippt. »Du hast Edith gesehen?«
»Ich stattete ihr und den Mädchen einen kurzen Besuch ab. Es geht ihnen gut. Edith steckt ja noch mitten in ihrer Krankenpflegeausbildung und wird bald in einem der Berliner Notlazarette eingesetzt.«
»Ja, das schrieb sie mir«, murmelte Hannes und griff nach dem Brief in seiner Tasche. Unbändige Eifersucht drohte ihn zu übermannen. Theodor hatte Edith und
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