Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
dann um. Instinktiv schloss Hannes die Augen, um sie vor Ästen, aufwirbelndem Splitt oder dem Gestänge des Motorrads zu schützen. Als die Rutschpartie über den schlammigen Boden endete und er die Augen wieder zu öffnen wagte, blickte er in ein hübsches weibliches Gesicht.
Eine junge Frau hockte vor ihm und musterte ihn besorgt. Mit französischem Akzent fragte sie: »Haben Sie sich verletzt, Herr Leutnant?«
»Um das zu wissen, muss ich erst meine Knochen sortieren«, erwiderte er trocken, ohne den Blick von ihr zu wenden. Ihr roter Kirschmund, den er trotz der schlechten Lichtverhältnisse deutlich sehen konnte, verzog sich zu einem einnehmenden Lächeln und legte zwei Reihen faszinierend weißer, wie Perlen auf einer Schnur aufgezogener Zähne frei.
»Sie sprechen hervorragend Französisch, deutscher Leutnant.«
»Jedenfalls besser, als ich Motorrad fahre.«
Ihr Kichern jagte ihm ein Prickeln durch die Brust, und er ließ zu, dass dieses kleine Persönchen ihm half, das Zweirad aufzurichten. Gemeinsam lehnten sie es an eine nachlässig verputzte Hauswand.
»Sie sind sehr nass, deutscher Leutnant. Kommen Sie herein und wärmen Sie sich auf.«
Hannes’ Blick wanderte von der NSU zum Gesicht der Frau. Von dort glitt er über ihre üppige Brust und die schmale Taille bis zu ihrem etwas zu kurz geratenen Rock, der einen freizügigen Blick auf ihre schlanken Fesseln gewährte.
In seinem Kopf begann eine Warnglocke zu läuten, die er jedoch ebenso überhörte wie das Quietschen der Tür, als die Französin sie einladend öffnete. Plötzlich war da kein Gedanke mehr an Edith. Nur noch der Wunsch, all den erlebten Schrecken, die entstellten Leichen, den Geruch nach Tod und Verwesung zu vergessen und dieser in ihm brodelnden, überhandnehmenden Sehnsucht nachzugeben.
***
»Du bist hoffentlich nüchtern, Herr Leutnant«, begrüßte Waldmann ihn, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Im Unterstand herrschte Nervosität, ein deutliches Zeichen dafür, wie schnell die Neuen realisiert hatten, dass es für sie in wenigen Minuten zum ersten Mal an die Front gehen würde.
»Hatte Probleme«, knurrte Hannes und spielte nervös mit der Erkennungsmarke um seinen Hals. Damit meinte er nicht den fehlenden Sprit gegen Ende des Rückweges, sondern vielmehr die Tatsache, dass das Mädchen ihm eine Menge Geld aus der Tasche gezogen hatte. Außerdem meldete sich sein Gewissen immer vehementer. Er schämte sich für das, was er aus seinem Gefühlschaos heraus getan hatte. Die Erinnerung an die vergangene Nacht machte ihn zornig auf sich selbst. Wochenlang hatte er seine Gefühle so weit im Griff gehabt, um auf dem Schlachtfeld zu funktionieren. Weshalb also konnte Theodors Treffen mit Edith ihn so aus der Bahn werfen, dass er sich die erstbeste Frau griff, die seinen Weg kreuzte?
»Was machen wir jetzt mit dem grünen Gemüse?«, erkundigte Waldmann sich und blickte grimmig auf einen schmächtigen Burschen, der sich furchtbar umständlich mit seiner Ausrüstung abplagte. Patronentasche, Spaten, Gewehr und Seitengewehr 25 , Brotbeutel, Feldflasche, Karbidlampe, Spirituskocher und all das andere, was er in seinem Tornister und über der Schulter mitzuführen hatte, war für ihn entschieden zu viel.
»Jeder unserer erfahrenen Männer bekommt einen der Frischlinge an die Seite.«
»Das ist sinnvoll«, bestätigte Waldmann und bellte seine Befehle in den Unterstand.
Die Soldaten stellten sich in einer Zweierreihe auf und Hannes besah sich die Paare. Seine Stirn furchte sich, als sich Bubi und der Rotschopf ganz am Ende einreihten.
»Wie heißen Sie, Soldat?«, fragte er den Witzbold.
»Adrian Oettinger, Herr Leutnant.«
»Sie sind in den Stellungen an meiner Seite.«
»Jawohl, Herr Leutnant.«
»Herr Leutnant …?« Bubi protestierte zaghaft dagegen an, dass ihm der unerfahrene Neuling abgenommen wurde.
»Gefreiter Bubi, wir können schlecht auf Sie als unsere Grabenratte verzichten. Und dabei ist Ihnen ein Anhängsel nur im Weg, wenn nicht gar ein Risiko für Ihre Sicherheit.«
»Jawohl, Herr Leutnant.«
Hannes nickte Waldmann, Lasswitz, Dahn und Eisenburg zu, die ihren Trupps Befehle erteilten, und marschierte ihnen voraus auf die knapp drei Kilometer entfernte Frontlinie zu.
Noch hatte die Nacht die Landschaft im Griff, doch im Osten ermahnte ein heller Streifen am Horizont, wie spät sie zur Ablösung dran waren. Demzufolge trieben die vier Unteroffiziere die Landser in einen flotten Trab.
Innerhalb kürzester
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