Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Zeit hörte Hannes die Männer hinter sich keuchen, allen voran der übergewichtige Waldmann. Das zischende Geräusch ihres Atmens mischte sich mit dem Trampeln ihrer Stiefel, dem lauten Platschen, wenn jemand in eine Pfütze trat, und dem Klappern und Knarren des Sturmgepäcks.
Vor einer Anhöhe drosselte Hannes das Tempo. Er konnte es sich nicht leisten, dass die Männer japsten und keuchten, wenn sie in die Gräben einstiegen und sich den feindlichen Stellungen näherten. Er wollte die Aufmerksamkeit der Gegner ja nicht unnötig auf seinen Zug lenken, zumal das eilig gezogene Grabensystem verwirrend angelegt war. Manch ein Abschnitt des ersten deutschen Grabens lag scheinbar unendlich weit vom vordersten feindlichen Graben entfernt, während andere Stellen bis auf Gesprächsnähe an ihn heranrückten.
Der Zug geriet ins Stocken, als sie an einer Reihe frisch ausgehobener Gräber vorbei mussten, bevor sie in einen Laufgraben kletterten. Das, was ihnen in den nächsten Tagen blühen konnte, lag ihnen hier deutlich vor Augen!
Hannes stellte sich vor die aufgeworfene Erde und ließ seinen Trupp an ihm vorbeimarschieren. Währenddessen verlangte er, dass die Neuen ihm ihre Namen nannten. Dabei tat er genau das, was er vor Wochen noch hatte vermeiden wollen: Er prägte sich jedes Gesicht ein und murmelte ihre Namen vor sich hin, damit sie sich in sein Gedächtnis einbrannten. Von diesem Tag an wollte er die Verantwortung für seine Soldaten übernehmen, sie führen und bestmöglich durch den Krieg bringen. Dabei machte er sich nichts vor – schließlich hatte er die Toten der vergangenen Schlachten gesehen und genug eigene Infanteristen und auch Unteroffiziere verloren: Sein Zug würde Verluste erleiden. Aber er war dazu bestimmt, sich für seine Männer einzusetzen und dafür Sorge zu tragen, so viele wie möglich von ihnen bis Weihnachten am Leben zu erhalten, selbst wenn die großen Versprechungen der Heeresleitung, bis dahin den Krieg gewonnen zu haben, inzwischen wie Hohn anmuteten.
Hannes beobachtete, wie ein paar der erfahrenen Kämpfer den ihnen zugeteilten Jungs Anweisungen über das Verhalten in den Frontstellungen zuraunten. Befriedigt nickte er und führte seine Truppe tiefer in das Gewirr aus Lauf- und Schützengräben.
***
Als ein neuer wolkenverhangener Tag über Frankreich graute, hatten die Männer von Hannes’ Zug sich in den Liegestellen 26 der Grabenwände eingerichtet. Diese etwa mannslangen, niedrigen Einbuchtungen in Kniehöhe lagen zur Feindesseite hin und boten zumindest Schutz vor Nässe von oben. Die Wände des fast zwei Meter tiefen Schützengrabens waren notdürftig mit Rundhölzern und ein paar von Pionieren angebrachten Verstärkungen ausgekleidet. Nach dem Regen der vergangenen Nacht bildete sich auf dem festgetretenen Boden eine glitschige Schmierschicht, die schnelle Bewegungen verbot und ein eigentümliches Schmatzen von sich gab, wenn man nach längerem Stillstehen den Fuß hob. Die Feuchtigkeit von unten und entlang der Wände war extrem unangenehm, kroch sie doch innerhalb von Minuten in das Drillichzeug, lehnte man sich einmal an oder wollte sich für einen Moment hinsetzen.
Hannes beobachtete, wie Waldmann leicht geduckt hinter den Soldaten vorbeihuschte, hier und da Anweisungen gab oder ein paar freundliche Worte loswurde. Nebenbei versorgte er Lasswitz, Dahn und Eisenburg mit je einer Handvoll Zigaretten. Schließlich blieb er neben Hannes stehen und zog seinen Regenmantel fest um sich, bevor er sich an die nassen Holzplanken lehnte und ihn eingehend musterte.
Hannes wich seinem Blick aus. Lieber spähte er vorsichtig über das vor ihm liegende, von Kratern durchzogene und wie von einem riesigen Maulwurf aufgewühlte Land, wobei er im fahlen Dämmerlicht noch nicht weiter als bis zu den Stacheldrahtverhauen sehen konnte.
»War sie es wenigstens wert?«, fragte Waldmann irgendwann und reichte ihm einmal mehr ein Stück Schokolade.
Hannes’ Hand zitterte, als er die dunkle Süßigkeit entgegennahm und in den Mund steckte. »Wie machen sich die Neuen?«, versuchte er vom Thema abzulenken und seine quälenden Gewissenbisse auszuschalten.
»Gut. Aber bis jetzt hat auch noch niemand gewagt, den Hals zu recken.«
Adrian, wie befohlen dicht neben Hannes, nahm Waldmanns Worte zum Anlass, eben dies zu tun. Zwei Kugeln pfiffen vorbei, bohrten sich in die Erde hinter ihm und veranlassten den Burschen, sich zu Boden zu werfen. Dabei fiel seine Pickelhaube aufklatschend in den
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