Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Erinnerungen von Blut und einer Brücke gesprochen. Dass ihre Freundin nicht fantasierte, wusste Anki, immerhin hatte sie Ljudmilas blutverschmiertes Kleid in Rasputins Schlafzimmer gefunden. Doch jetzt bestätigten sich auch ihre diffusen Erinnerungen an eine Brücke. »Ein paar betrunkene Soldaten trugen irgendeine blödsinnige Wette entlang eines Kanals aus und dabei …« Die Komtess vergrub ihr Gesicht in ihren bebenden Händen.
Anki empfand kein Bedauern darüber, dass ihr Details versagt blieben. Sie wollte nicht wissen, woran man Jevgenia nach nahezu acht Monaten im Wasser identifiziert oder wie die Männer sie vorgefunden hatten.
»Für die Eltern wird es schrecklich schwer sein, nun jeder Hoffnung beraubt zu werden. Aber zumindest haben sie jetzt Gewissheit über das Schicksal ihrer Tochter, können sie beerdigen und betrauern«, überlegte Anki halblaut.
»Und ich quäle mich mit noch mehr Fragen und Zweifeln. Mein Kopf will einfach keine Erinnerungen preisgeben«, jammerte Ljudmila.
Anki beugte sich nach vorn und nahm die zitternden, kalten Hände der Freundin in die ihren.
»Die Staatssicherheit war bei mir, bis vorhin!«, platzte es aus Ljudmila heraus. »Sie stellten so viele Fragen, auf die ich doch keine Antworten weiß. Sie beschimpften mich, ich wolle Rasputin schützen und täusche deshalb eine Amnesie vor.«
Anki gelang es nur mühsam, ein paar vorwurfsvolle Worte in Richtung ihrer Freundin zu unterdrücken. War Ljudmila etwa zu ihr gefahren, direkt nachdem die Männer von der Staatssicherheit sie verlassen hatten? War sie sich in ihrem Schmerz nicht bewusst, dass sie womöglich beobachtet wurde und nun auch Anki, die Njemka 28 , in ihre schrecklichen Erlebnisse um Rasputin hineinzog? Wenn sogar die Zariza der Spionage für die Deutschen bezichtigt wurde, welche Verdachtsmomente könnte man dann erst ihr anhängen! Und sie genoss bei Weitem nicht den Schutz vor Repressalien, den eine Alix von Hessen-Darmstadt durch ihren Status als Zariza aller Russen innehatte.
»Wie kam die Staatssicherheit auf den Gedanken, du könntest am Tag ihres Verschwindens mit Jevgenia zusammen gewesen sein? Ich dachte, deine Eltern sprachen niemals über die Sache.«
»Sie war doch meine Freundin«, schluchzte Ljudmila, und Anki verzog das Gesicht. Sie war ebenfalls Ljudmilas Freundin. Und die Staatssicherheit hatte sich früher schon nach ihr erkundigt! »Selbstverständlich sprach Herzog Bobow mit den Beamten darüber. Immerhin sucht er seit Monaten nach seiner Tochter.«
Anki nickte. Natürlich hatte das Ehepaar Bobow der Polizei alle Vorkommnisse dieser tragischen Nacht berichtet. Angesichts ihrer familiären Tragödie wog der Schutz von Ljudmilas Ruf ein Zurückhalten irgendwelcher Details nicht auf.
»Sie stellten mir so viele bohrende Fragen und ließen nicht locker. Dazwischen überschütteten sie mich mit Vorwürfen. Am schlimmsten aber ist, dass sie mir unterstellen, ich würde Rasputin decken. Diesen grässlichen …« Sie sprach nicht weiter, stieß dafür aber einen wütenden und zugleich verzweifelten Schrei aus, der im Foyer widerhallte.
Erschrocken hielt Anki die Luft an, um kurz darauf dem aufgeschreckten Jakow beruhigend zuzuwinken und auch Marfa zurück zu den beiden Mädchen zu schicken.
Ihre Freundin bemerkte das Neugeborene im Arm der Zofe nicht einmal, so gefangen war sie in ihrer schmerzlich durcheinandergeworfenen Gefühlswelt. »Was soll ich nur tun?«, flüsterte sie.
»Dir wird nichts geschehen, Ludatschka. Natürlich stellen die Behörden Fragen und bohren nach, weil sie hofften, dass du ihnen Antworten lieferst. Dass du es nicht kannst, können sie vermutlich nicht nachvollziehen. Und sie haben nun Rasputin unter Verdacht – was dir ja recht sein müsste, nicht? Du aber stehst unter dem Schutz der Zarenfamilie!« Wieder verdrängte Anki ihre Befürchtung, demnächst ebenfalls unangenehmen Besuch zu erhalten. Dabei war sie sich bewusst, dass die Zariza ihre Hand nicht schützend über eine Anki van Campen halten würde. Auch Oberst Chabenski hielt sich weit fort an der Front auf, und die Fürstin …
»Du hast recht«, murmelte die Komtess und schob ein paar gelöste Haarsträhnen, die selbst im schwachen Schein der einzigen Lichtquelle kupferfarben schimmerten, hinter ihre Ohren. »Ich würde wirklich gern helfen, und das nicht nur, um die aufdringlichen Leute der Staatssicherheit endlich los zu sein«, murmelte Ljudmila, als sie sich etwas beruhigt hatte. »Jevgenias Eltern
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