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Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Titel: Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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geht es seit ihrem Verschwinden furchtbar schlecht. Fast scheint mir, ihr Vater zerbricht daran. Meine Mutter vermutet, er fühle sich als Versager, weil er nicht in der Lage war, sein geliebtes Kind zu beschützen. Und er macht sich Vorwürfe, dass er seiner Frau und Jevgenia nicht den Umgang mit … dieser Kreatur verboten hatte.« Kurz schwieg Ljudmila, ehe sie, nun wieder heftiger, fortfuhr: »Aber ich kann mich nicht erinnern, was passiert ist! Ich sehe nur immer eine Brücke vor mir und dann entsetzlich viel Blut! Und ich denke, dass Jevgenia gestürzt ist, aber nicht einmal dieses Bild ist klar.«
    »Ludatschka, quäl dich nicht. Wenn Gott dich schonen will, indem er dir die Erinnerung an diese schrecklichen Minuten vorenthält, ist das gut so. Möchte er, dass du dich erinnerst, wird er dir dieses Erinnerungsvermögen zur richtigen Zeit wiedergeben.«
    »Ach, liebe Anki. Besäße ich nur deine Zuversicht und deinen Glauben.« Ljudmila zog eine Kette aus ihrem Ausschnitt, an der ein goldenes Kreuz hing, und küsste es wiederholt.
    »Mein Glaube ist weder stark noch groß. Mein Trost aber ist, dass Gott auch diesen schwachen Glauben anerkennt.«
    Ljudmila seufzte, und diesmal ergriff sie Ankis Hände. »Du tust mir gut. Danke für deine beruhigenden Worte. Jetzt kann ich wohl nach Hause fahren und schlafen.«
    »Hattest du deinen Eltern gesagt, wohin du fährst? Ist es nicht sicherer, wenn du die Nacht über hierbleibst?«
    »Ich versprach ihnen, innerhalb einer Stunde zurückzukehren. Mich begleiten nicht nur ein Kutscher und eine Zofe, sondern auch zwei kräftige Männer. Vater umgibt sich sonst mit ihrem Schutz, da er zunehmend den roten Pöbel in den Straßen fürchtet.«
    Anki nickte verstehend. Es hatte zuletzt einige Attentatsversuche auf den Zaren und seinen Beraterstab gegeben, zu dem auch Graf Zoraw gehörte.
    Nachdem Ljudmila sich in ihren bodenlangen Mantel gehüllt hatte, öffnete Anki die Tür und trat mit ihrer Freundin unter den Säulen hindurch auf die Stufen. Von der Mojka stieg feuchte Luft auf, die wie zerrissene Fetzen weißen Tülls über dem Kanal schwebte und im Licht der Straßenlaterne einen orangefarbenen Ton annahm. Der Zoraw-Kutscher war aufmerksam und fuhr bis vor die Stufen. Mit einem Blick auf die zweite wartende Kutsche, neben der ein alter Mann auf und ab ging, um sich warm zu halten, kroch erneut Ärger über Raisa in Anki auf.
    Hätte die Baroness bei ihrer Ankunft angedeutet, dass sie vorhatte, mehrere Stunden bei den Chabenskis zu verbringen, hätte man die Pferde versorgt und den Fahrer ins Haus gebeten. So aber harrten sowohl die Tiere als auch der greise Kutscher seit Stunden ohne Wasser und Nahrung und seit Einbruch der Dämmerung in zunehmender Kälte dort draußen aus. Es hatte keinen Sinn, das Versäumte nachzuholen, doch sie würde Nadezhda bitten, dem Kutscher einen heißen Tee zu bringen, und anschließend Raisa deutlich machen, dass sie nach Hause fahren sollte.
    Das Klappern der Pferdhufe und das Rollen von beschlagenen Kutschrädern über das Pflaster waren gerade verhallt, als aus der entgegengesetzten Richtung das knatternde Brummen eines Automobils ertönte. Da Anki zu so später Stunde nicht mehr mit Besuch rechnete, warf sie einen letzten Blick auf die Lichter der Häuser an der gegenüberliegenden Kanalseite und zu den blinkenden Sternen am nachtschwarzen Himmel, ehe sie sich umdrehte und die Stufen erklomm. Im Vorbeigehen strich sie fast zärtlich mit der Hand an einer der vier dorischen Säulen entlang. In diesem Augenblick stoppte ein auffälliges rotes Automobil direkt vor der Treppe und diesem entstieg Baron Osminken.
    Der Mann hastete die Stufen herauf und lief an ihr vorbei ins Foyer, wo er so schnell herumwirbelte, dass sein offener Mantel sich hinter ihm wie eine Fahne aufblähte. »Deine Unzulänglichkeit grenzt schon an …« Offenbar fehlten ihm die Worte, oder er war zu alkoholisiert, um sie hervorzubringen.
    »Ich rufe Ihre Tochter, Hochwohlgeboren«, wagte Anki zu sagen.
    »Deiner Verantwortung unterlag es, sie schon vor Stunden nach Hause zu schicken, Weib!«
    Anki wusste nicht, woran es lag, doch dieser Mann reizte sie zu ständigen Widerworten. »Ihre Tochter ist mit ihren achtzehn Jahren in Russland voll mündig, zudem in die Gesellschaft eingeführt. Sie ist erwachsen und für ihr Tun verantwortlich«, gab Anki zurück, ohne den Mann anzusehen. Seit Jahren behandelte Baron Osminken seine Tochter wie eine Erwachsene und nun, da sie nach

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