Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Sie den Kopf des Mädchens genau so, wie er jetzt liegt. Jelena muss möglichst still liegen. Sie weiß das und hat mir versprochen, sich nicht zu bewegen. Dennoch wollen wir mit Ihrer Hilfe für eine Stabilität von außen sorgen.«
Roberts warme Hände ergriffen Ankis und zeigten ihr die Position, in der sie Jelenas Kopf fixieren sollte. »So, Jelena, bist du bereit?«
»Ja, Dr. Busch.«
»Fräulein van Campen?«
»Ich bin bereit.«
Anki bekam gar nicht mit, was genau der Medizinstudent tat, denn die Untersuchung war schneller abgeschlossen, als sie vermutet hatte. Auch für Jelena kam der erneute heftige Schmerz überraschend. Außer einem heftigen Ein- und Ausatmen und ein paar Tränen, die ihr aus den Augenwinkeln kullerten, reagierte sie nicht.
»Was habe ich da nur für eine tapfere Patientin und eine patente Krankenschwester!«, lobte Robert und strich dem Kind mit den Daumen erst links, dann rechts die Tränen von den Wangen. »Ich spreche jetzt mit deinen Eltern, Jelena Iljichna. Anschließend müssen wir dir einen straffen Verband um deinen Oberkörper anlegen. Das wird noch einmal sehr unangenehm für dich sein. Aber ich vermute, du wirst auch dies wacker ertragen, nicht wahr?«
»Versprochen, Dr. Busch!«, flüsterte das Kind und lächelte ihn vertrauensvoll an.
Robert erhob sich und trat zum besorgt dreinschauenden Ehepaar Chabenski. Souverän erklärte er die Diagnose und die weiterführende Behandlung, die bei einem Kleinkind, dessen Knochen meist schnell verheilten, kein Problem darstellen sollte.
In diesem Augenblick betrat ein kräftig gebauter Mann den Raum, prächtig gekleidet, als käme er soeben von einem Ball aus dem Zarenpalast. Unter dem schwarz schimmernden Gehrock zeichnete sich eine silbern und rot durchwirkte Seidenbrokatweste ab und an seinem linken Ringfinger funkelte der größte Ring, den Anki jemals an der Hand eines Mannes gesehen hatte.
»Jelena, darf ich dich einen Moment allein lassen? Raisas Vater ist gekommen. Er möchte sicher seine Tochter abholen.«
»Meine Eltern sind ja da«, erwiderte Jelena tapfer. Anki hauchte dem Mädchen einen Kuss auf die Stirn, erhob sich und eilte so schnell in Richtung Tür, wie es ihr vornehmes Festkleid zuließ.
»Du bist die Njanja?«, begrüßte Baron Wladimir Osminken sie schroff. Dass der Mann sie nicht kannte, verwunderte Anki nicht, zeigte er doch Angestellten gegenüber keinerlei Interesse und würdigte sie selten einmal eines Blickes.
»Das bin ich …«
»Die Kleine der Chabenskis hat sich verletzt?«
»Leider ja.«
»Offenbar kannst du nicht auf die Kinder achtgeben, Njanja.« Anki hielt für einen Moment den Atem an. »Das ist aber das Problem der Chabenskis«, fuhr der Baron fort. Seine Stimme klang dabei bedrohlich und unfreundlich. Beunruhigt wagte Anki einen Blick in sein unrasiertes Gesicht.
»Meine Tochter hat mir geklagt, dass du ihr das Fest verdorben hast«, herrschte der Mann sie plötzlich unfreundlich an. »Die Baroness hat sich schon seit Wochen auf das Fest gefreut, und du verleidest es ihr gründlich? Sie sitzt dort draußen und weint bittere Tränen. Du besitzt die Unverfrorenheit, eine Baroness zu beschimpfen und vor ihrer besten Freundin zu demütigen?«
Entsetzt von der Tatsache, dass sie von Osminken gemaßregelt wurde wie ein Kleinkind, starrte Anki den Baron an, ehe sie eilig den Kopf senkte. Wusste dieser Mann überhaupt, was in seiner Tochter vor sich ging?
»Entschuldigen Sie bitte, Hochwohlgeboren. Wie Sie bereits feststellten, bin ich Ninas Njanja. Nina ist ein Kind von dreizehn Jahren und sehr behütet aufgewachsen. Ihre Tochter ist hingegen schon siebzehn, auf der Schwelle zur jungen Dame und in ihrer Entwicklung selbst Gleichaltrigen voraus. Gelegentlich muss ich zwischen der Prinzessin und der Baroness vermitteln. Dies tat ich auch heute. Die Baroness und ich einigten uns in gegenseitigem Einvernehmen auf ein paar Verhaltensregeln.«
»Sie hat mir etwas völlig anderes erzählt.«
»Das tut mir leid, Hochwohlgeboren. In diesem Fall habe ich die Reife Ihrer Tochter wohl überschätzt.«
»Das reicht!«, brüllte der Mann sie an. Anki taumelte einen Schritt zurück und hielt sich mit der linken Hand am mit Schnitzereien verzierten Türrahmen fest. »Erdreiste dich nie wieder, deinen Mund aufzutun, ohne dass ich dir die Erlaubnis erteile. Und dafür, dass du meine Tochter als Lügnerin bezichtigst, könnte ich dich bestrafen lassen.«
»Das habe ich nicht getan, Hochwohlgeboren.
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